Freitag, 5. Februar 2016

Georg Herwegh - Ein Heldenleben



"Glückspilz, liebenswürdiger Narr, Tagedieb, Vaterlandsverräter, weltfremder Wirrkopf. Glaubte an die Geste, an Zauberformel und Zaubertanz" beginnt das erste "Hereinspaziert" überschriebene Kapitel des Buchs "Herwegh   Ein Heldenleben".
Ulrich Enzensberger erzählt die Lebensgeschichte eines im 19. Jahrhundert in deutsch-sprachigen Landen äußerst populären Dichters. Herwegh wuchs in Süddeutschland auf und studierte ab 1835 Theologie und Jura. Bald darauf trat er den Patrioten Tübingen bei, einer burschenschaftlichen Vereinigung. Er verwendete mehr Zeit auf das Schreiben von Gedichten als auf sein Studium. 1836 flog er vom Tübinger Stift und arbeitete seither als freier Schriftsteller, zunächst in Stuttgart. 1839 floh er in die Schweiz, da er einen königlich-württembergischen Offizier beleidigte und ihm daraufhin Zwangsrekrutierung drohte. 1841 erschien der erste Teil seiner Gedichte eines Lebendigen, die ihn auf einen Schlag berühmt machten. Herwegh führte ein sehr wechselhaftes Leben und traf auf zahlreichen Reisen und Fluchten u.a. Heinrich Heine, Fröbel, Karl Marx, Ludwig Feuerbach, Michael Bakunin, Richard Wagner, Ferdinand Lasalle, Franz Liszt, mit denen er sich anfreundete und mit denen er kooperierte. Meist bei ihm: seine Frau Emma, die ordentlich Geld in die Ehe einbrachte und ihm somit ermöglichte, sich auf seine schriftstellerische Arbeit und revolutionären Aktivitäten zu konzentrieren - was der Ehegatte jedoch nicht immer beherzigte. Enzensberger erzählt genau und dabei stets unterhaltsam. Er bringt uns einen Menschen nahe, der ein an die damaligen gesell-schaftlichen Normen unangepasstes Leben führte, das seinen Ausdruck u.a. in zahlreichen Gedichten fand, von denen einige bis heute unangefochten zum Schatzkästlein revolutionärer Literatur bzw. linken Kitsches zählen, etwa 
Mann der Arbeit, aufgewacht!
Und erkenne deine Macht!
Alle Räder stehen still.
Wenn dein starker Arm es will. 
 
Diese zum Sprüchefundus jedes orthodoxen Linken zählende Gedichtstrophe ist die drittletzte seiner "Das Bundeslied" betitelten Hymne auf das revolutionäre Proletariat. 1863 wurde Herwegh Bevollmächtigter des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins (ADAV) in der Schweiz, der ersten  Vorläuferorganisation der späteren SPD. 
In der DDR war Herwegh anerkannt als sozialistischer Dichter, der eine lange Tradition prole-tarischer Poesie mitbegründete. In der BRD ist er bis heute umstritten. Ich könnte mir vorstellen, daß er in Kreisen der PEGIDA-Bewegung einiges Ansehen genießt. Die Umstrittenheit Herweghs liegt wohl auch darin, daß er sich um die Frage, ob "rechts" oder "links" richtig sei, nie kümmerte, während diese bei heutigen linken Intellektuellen als zentral gilt. Herwegh wandte sich nach dem deutsch-französischen Krieg (1870-71) scharf gegen den aufkommenden Nationalismus.  "Mit der teilweise pathetischen, kämpferischen und gewaltbereiten Sprache insbesondere seiner frühen Gedichte eines Lebendigen habe er sich wenig von der Sprache seiner Feinde unterschieden und wäre somit auch als Wegbereiter eines aggressiven Nationalismus, des Wilhelminismus, zu sehen" resümiert Wikipedia Enzensbergers Buch.
Herweghs Sprache entspricht nicht den Regeln der political correctness, da nicht smart und den Bedürfnissen des deutschen Konsum-Bürgers entsprechend.
Aber: Besser "umstritten" als vergessen ...

                                                                       
                                                                                                             *RS*

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