Samstag, 4. Juli 2015

Kursbuch 173 "Rechte Linke"

"Rechte Linke"? Klingt interessant. Die meisten von uns, die sich mit Politik befassen, kennen die  zunehmende Irritation, wenn es darum geht, wer oder was "rechts" oder "links" ist, und warum. Entsprechende Erwartungen, was die Begriffsverwirrung betrifft, hegte ich beim Kauf des Buches. Und wurde ziemlich enttäuscht. Zwar finde ich im Editorial von Armin Nassehi Sätze wie "Die Konservativen sind linker geworden... " und "die Linken haben sich ohne Zweifel mit dem Kapitalismus versöhnt", aber diese Bemerkungen zählen zu den wenigen, die zu einer ernsthaften Debatte über Paradigmen-Wechsel in der politischen Großwetterlage hätten werden können. Immerhin: In ein paar Nebensätzen in dem Essay eines anderen Autoren wird die Sitzordnung im Parlament erwähnt, die sich aus der Sitzordnung in der Nationalversammlung der Frz. Revolution entwickelte. ,Der größte Teil des Editorials und, stärker noch, des Essays "Die Macht der Unterscheidung" von Nassehi, kreist um sich selber und die eigene Intelligenz und die Möglichkeiten der Alliteration, die das Thema bietet. "Ich muss einen Text schreiben, diesen Text, über die Macht der Unterscheidung" bringt Soziologie-Professor Nassehi sich in Position, und wir Leser können ihm dabei zuschauen, wie er seine mehr als beträchtliche Intelligenz entfaltet, metaphernstark und meta-sprachlich, er tanzt semantisch über die Seiten, metalogisch, tatsächlich: Das Wort "metalogisch" ist mir nicht geläufig, aber hier wirds verwendet: Herr Nassehi stieß auf die "Ökologie des Geistes", ein 1981 erschienenes Buch von Gregory Bateson, Untertitel "Anthropologische, psychologische, biologische und epistemologische Perspektiven". Ich würde allein für dieses Bateson-Buch, auf das sich Nassehi locker bezieht, einige Tage brauchen um es zu verstehen (wenn überhaupt). Der Autor zitiert Bateson im Gespräch mit Tochter Cathy ... - ich gebe zu, daß es mich nicht interessierte, was die beiden sich zu sagen hatten, aber offenbar ist es wichtig für den Aufsatz. Bei dem Satz "Eine Information ist ein Unterschied, der einen Unterschied ausmacht", denke ich AHA, und entwickle im Kopf ein Bild von Herrn Nassehi, das diesen als Haarspalter, Sophisten und Super-Intelligenzler illustriert - doch STOP!, ich verdonnere mich, eng - noch enger am Text zu bleiben und nicht abzuschweifen. Es gelingt mir mit Mühe und Not. Absatz für Absatz, Seite für Seite werden hochabstrakte, in Sprach- und allgemeine Philosophie mäandernde Thesen und Beschreibungen geliefert, der Mann scheint ein echter Virtuose zu sein und es darauf angelegt zu haben, dies zu zeigen. Seite 21 behauptet Herr N. "Das Epochale war, dass nun Inkommensurables zum Vorschein kam". Der Begriff inkommensurabel läßt mich eine Spur aufmerksamer werden, wie ein Jäger auf Beutezug, der plötzlich Witterung aufnimmt. Als Künstler habe ich quasi ununterbrochen mit dem Phänomen der Inkommensurabilität zu tun, dh. mit Dingen, Zuständen, Material, Vorstellungen, die nicht oder nur schwer zugänglich sind, da nicht meßbar und kaum auf einen Begriff zu bringen. Das macht einen Großteil der Faszination von Kunst aus - und der Probleme, welche Vermittlung und Interpretation mit sich bringen (können). Bei Prof. Nassehi liest sich dies so: "Die Beobachter werden inkommensurabel - also: Sie messen mit unterschiedlichem Maß, sie können sich nicht einigen, weil sie unterschiedlichen Welten entstammen". - Ich sehe, daß ich ausführlich über einen einzigen von insgesamt 13 Autoren und Autorinnen und einen Fotografen schrieb und möchte mich kürzer fassen - etwas Wichtiges möchte ich aber noch erwähnen. Auf Seite 28 geht der Autor endlich einmal offensiv auf das Thema politisch "rechts" an. Ich finde seine Bemerkungen jedoch sehr einseitig und nur teilweise zutreffend. Gerade "rechts" wolle "niemand sein". Und wenn sich "an den Rändern" doch ausnahmsweise "Rechte finden - im Umkreis ... von Zeitschriften wie Junge Freiheit oder Sezession unter dem Label der "Neuen Rechten", dann "muten die semantischen Figuren" dort eher links an. Angeblich sind diese "Rechten" eine Art Blaupause von Linken und ähneln mit ihrer (politisch-ideologischen) Kritik der "Unterwanderungs- und Guerilla-Strategie" linker Desperados der 1970-er Jahre ... Hier wird, was in Form von Thesen zu einem interessanten Diskurs führen könnte, für bare Münze ausgegeben. Nassehi liefert, hoch-intelligent formuliert, Klischee-Vorstellungen. Leider machten weder er noch sonst ein Mitwirkender an diesem Kursbuch sich die Mühe, mit "Rechten" oder "rechten" Zeitungsmachern zu reden - so bleiben denn von der Tendenz her Aufsätze, die großenteils um linke Ideologismen und das eigene Denken kreisen, mit unterschiedlich originellen Ansätzen. ** Eigentlich wollte ich nach den gestelzten Bemerkungen des Herrn Nassehi nicht mehr weiterlesen, aber dann überlegte ich es mir anders. * Susan Sontags Tagebuchnotizen "1968", während eines Besuchs in Nord-Vietnam entstanden, sind bar jeder prätentiösen Wort-Tänzerei und wohltuend verständlich geschrieben. Die US-Amerikanerin Sontag hatte Probleme mit den Vietnamesen, die äußerst höflich und zuvorkommend waren, sehr gute Gastgeber, aber total unpersönlich.  "Was mir fehlt, ist die Welt der Psychologie" seufzt sie auf Seite 35, und auf der nächsten Seite: "Ich sehne mich danach, daß hier mal irgendjemand indiskret ist. Über seine "persönlichen" oder "privaten" Gefühel spricht". Mit diesen schlichten Sätzen kann ich mehr anfangen als mit seitenlangem aufgeblasenem Wortschaum. * In dem "Streitgespräch" zwischen den Herren Axel Honneth und Paul Nolte "über rechts und links in der globalisierten Moderne" werden äußerst komplizierte politische wie soziologische und philosophische Sachverhalte bzw. Fragestellungen andiskutiert, aber auf vergleichsweise bodenständige Art, dh verständlich auch für intelligentere Nicht-Fachleute. Das Wort "Streitgespräch" finde ich übertrieben. Besonders weit liegen die beiden Professoren nämlich nicht auseinander, beide sind zweifellos und klar "links". * Ernst Pöppels Aufsatz "Der autistische Spiegel - Warum linke und rechte Gehirnhälfte zusammengehören" (S. 81 -90) ist klug geschrieben und zeichnet sich dadurch aus, daß naturwissenschaftliche Aspekte in die Thematik einbezogen werden. ** "Lechts und rinks - Über Verwechslungsgefahren" (S. 91-99) von Konrad Paul Liessmann habe ich mit vielleicht zu wenig Aufmerksamkeit gelesen. Der Grund: Ernst Jandls Mundart-Gedicht, in dem er konkret poetisch mit den Worten rechts und links und verwechseln und Irrtum spielt, löste in mir ein Gefühl des Genervtseins aus, da ich in den 90-er Jahren bereits einen (Pseudo-)Diskurs über die politische "was ist rechts-was ist links"-Frage erlebte (aber natürlich sei links das einzig-Richtige-und-Wahre -wer DAS anzweifelt gehört-nicht-hierher) bei dem Radiosender FSK in Hamburg. Diese Nicht-Auseinandersetzung drehte sich um die eigene Achse bzw. den Wortwitz "lechts und rinks" und wich einer historischen oder soziologisch präziseren Betrachtung aus. Viele Menschen, gerade in der linken Szene,  sind laut Personalausweis 25 oder 30 Jahre alt. Das intellektuelle Niveau scheint mir das von Krippenkindern zu sein. ** Bei den Fotos des Hans-Peter Feldmann, die acht Sonnenbrillen tragende sehr schönen Frauen zeigen, fragte ich mich: was haben die Bilder mit dem Thema zu tun? Habe ich irgendwelche Hinweise übersehen? Bin ich zu doof, dies zu kapieren? Da ich diese Art Schöne jeden Tag in Illustrierten und auf Reklamewänden sehe, reagiere ich auf die im Kursbuch Abgebildeten, als schwebten sie mir von der Häuserwand um die Ecke entgegen. Total-Kitsch, das Schönheits-Ideal der Haute Cuture, Kommerz, Model-Maße. Nichts gegen Karl Lagerfeld. Nur: Die Autoren und Autorinnen dieses Kursbuches, sind keine Modeschöpfer, sondern alle und ohne Ausnahme political correcte Linke, die genau dies demonstrieren: Auf Linie zu sein, nur ein bißchen lockerer und intelligenter als linke Politiker, und sehr viel poppiger. Texte als Spielwiese. Angeblich sei Pop-Musik immer links gewesen, behauptet einer der Autoren. Einige Aufsätze sind ernsthafter und nicht ganz so verspielt wie die Notizen des Herausgebers. Insgesamt ziehe ich das Fazit -was der "rein literarischen" Qualität der einzelnen Aufsätze keinen Abbruch tut- daß mit dem Buch eine Chance vertan wurde, politisch interessante, persönlich riskante (aber für mich als Leser umso spannenderere und am ehesten berührende) Aussagen zu machen und Thesen aufzustellen. Ich interpretiere "Rechte Linke" als ein, wenn auch heterogenes, Werk von Linken für Linke; keinerlei Versuch, das "andere Ufer", die gegnerische Seite, politisches Anderssein ernsthaft zu untersuchen. Ich bekomme den Eindruck, alle Autoren seien, ohne den geringsten Zweifel, der Ansicht, die linke Gesinnung und Weltanschauung sei, wenn auch auf einer Palette von Variationen, die einzig mögliche. Was an den "Rändern" und im Umfeld der Jungen Freiheit und Sezession bisweilen zu beobachten sei, müssen wohl eine Art Marsmännchen o.ä. sein. Intellektuell ernst zu nehmen seien diese Leute aber wohl nicht. --- *** Bei den letzten drei Aufsätzen in diesem Band fragte ich mich mehrfach, was sie mit dem Generalthema "Rechte Linke" zu tun haben. *** Zum Glück bezahlte ich nicht 19 €uro, den vollen Preis für das Kursbuch, sondern nur 7 € 90. Immer noch eine Menge.  *RS*  

                       

Keine Kommentare: