Freitag, 24. April 2015

Fritz J Raddatz Tagebücher 1982-2001

In den achtziger Jahren las ich in einer Zeitung abfällige Bemerkungen des seinerzeit renommierten Schriftstellers Gerhard Zwerenz über Fritz J Raddatz (ich meine es ging um dessen Roman "Kuhauge"). Damit war R. für mich erledigt, obwohl ich von ihm noch nie was gelesen. Da verpasste ein "echter" Schriftsteller einem Möchtegern knallhart eine linke Gerade! Dachte ich. & es machte klick! in meiner Klischee-Vorstellung. Auf die Idee, daß einer Romane UND Essays schreiben UND Interviews führen kann, wäre ich nicht gekommen. Entweder oder, war mein Standpunkt. Oder war Raddatz etwa ein Genie? Genies können alles, fast zumindest. Also war Raddatz für mich zweit-rangig. Bestenfalls. Bis vor einigen Jahren. Da las ich von ihm "Literarische Grenzgänger" - Essays u.a. über Edith Sitwell, Paul Bowles, Johannes R Becher. Die Aufsätze regten mich an, brachten mir diese "Literarischen Grenzgänger" näher. Auf behutsame Weise. * Mittlerweile, nach Lektüre von "Unruhestifter - Erinnerungen" (ersch. 2005), in dem Raddatz sein äußerst ereignis- und auch in anderer Weise reiches Leben, angefangen bei einer höchst problematischen Kindheit (* 1931 in Berlin), Jugend im Krieg, Karriere beim "Volk und Welt"-Verlag (Ost-Berlin), 1958 Umsiedlung in die BRD, äußerst ambitionierter und erfolgreicher Rowohlt-Vize, später Feuilleton-Chef bei der ZEIT uswusw Revue passieren läßt, ist dies nun das dritte Buch des Schriftstellers, das ich mit großer Begeisterung lese, ja verschlinge. Einige Tagebuch-Seiten kenne ich aus "Unruhestifter", aber das meiste ist neu für mich. Geradezu sensationell und für deutsche Verhältnisse extremst ist die aggressive, zum Teil bösartige und verletzende Art, wie Raddatz mit Gegnern und Feinden abrechnet, ein "Artist der Indiskretion". Wegen einem, wie er schreibt, lächerlichen Recherche-Fehler wurde er bei der ZEIT vor die Tür gesetzt. Ob die Dönhoff, Bucerius, Helmut Schmidt oder, von anderen Magazinen, Augstein, oder etliche Schriftsteller (Rühmkorf, Kempowski, Uwe Johnson und Hubert Fichte vor allem) - niemand wird geschont, alle werden kritisiert, in Grund und Boden. Es geht Raddatz weniger um literarische, stilistische Fragen (um die AUCH), sondern mehr um tiefersitzende Dinge, die Persönlichkeiten der Dichter betreffend, teils charakterlicher Art. Raddatz war immer wieder enttäuscht von Freundschaften -die mehr auf Nützlichkeitsdenken als sonstwas basierten. Er war, als Verlagsmann bei Rowohlt und Feuilleton-Chef der ZEIT in objektiver Weise Förderer diverser Schriftsteller, u.a. wurden von ihm Hubert Fichte und Walter Kempowski entdeckt. Natürlich war auch R. in seinen Aktivitäten und Kontakten auf Nützlichkeit bedacht, aber er wollte MEHR als das, mehr auch als ein Förderer sein. Ihm ging es um die eigene literarische Entwicklung, aber auch um Liebe - und eben Freundschaften. Große Passagen dieser Tagebücher lesen sich wie die Rache eines zutiefst Gekränkten, der, das sei hier vermerkt, vor sich selber nicht haltmacht, sich immer auch an die eigene Nase fasst, sich selbst ständig beobachtend. Und dann immer wieder gezielt, aber nicht blindwütig losdrischt. Haß in literarische Form gießend. Politisch immer links ... * 
Ich lese und lese... Die Tagebücher umfassen auf gut 900 Seiten die Jahre von 1982 bis 2001 und sind jeden Cent ihre 14 € 99 wert. Spannende, mich berührende, neugierig machende Lektüre. Trotz Aggressivität, Bösartigkeiten und auch depressiver, resignativer Zwischentöne auch MUT machend, mir jedenfalls. Danke Raddatz, daß du dich jahrzehntelang so reingeworfen hast!  
                                                                                                                                       *RS* 

  

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