Mittwoch, 12. Juni 2013

Offener Brief an die Hamburger Montags-Demo



Liebe Hamburger Montags-Demonstrant_innen!

Von Januar bis April besuchte ich Woche für Woche die Kundgebung am Mönckebergbrunnen. Ich meldete mich dabei mit zahlreichen Beiträgen am Offenen Mikrofon zu Wort. Meine Themen waren: Ich selber mit meinen Erfahrungen als 1-Jobber, Arbeitsloser, Geringverdienender, gesell-schaftlicher Außenseiter; zum anderen die Situation im Stadtteil Wilhelmsburg, der massiv Gen-trifizierungs-Prozessen unterworfen ist.
Ein paar mal stellte ich Bücher vor, z.B. „Organisieren oder organisiert werden“ des mittlerweile verstorbenen Berni Kelb, Untertitel: „Vorschläge für Genossen links unten“. Ich wies auf das Buch „Die Neue Umverteilung“ von Hans-Ulrich Wehler hin, der Position bezieht bzgl. der Sozialen Ungleichheit in Deutschland. Uswusw.  Nicht genug damit. Regelmäßig, d.h. jede Woche schrieb ich auf meiner Blogseite über die Montags-Demo, setzte Fotos dazu, auch einen Film. Reaktionen darauf von eurer Seite: KEINE.  *
Ich bin enttäuscht über diese Kommunikationslosigkeit und Gleichgültigkeit. Ich habe inzwischen die ganze Situation vor meinem inneren Auge Revue passieren lassen und reflektiert.
Mich wundert nicht, daß es euch nicht gelingt, den Kreis der Montags-Demo zu erweitern. Seit Monaten und Jahren kommen stets die gleichen Leute. Gesellt sich mal ein neuer dazu, seid ihr kaum in der Lage, einen guten persönlichen Kontakt herzustellen.
Woche für Woche „kämpferische“ Berichte über Streiks in Peru, Chile, Brasilien. Wen interessiert das? Klar, eine solidarische Bewegung bezieht solche Brennpunkte mit ein. Aber Woche für Woche als Schwerpunkt? Als Höhepunkt der Berichterstattung? Immerhin wurde der Streik bei Neupack thematisiert. Das reicht aber nicht.
Welchen Passanten berühren ideologische Phrasen? In den Reihen der Montags-Demo befinden sich etliche Aktivist_innen, denen man ihre rhetorische Schulung anmerkt. Nie erlebte ich, daß einer dieser geschulten Redner etwas von sich preisgab, von sich persönlich zeigte. Dabei wäre genau dies der Ansatz, um ins Gespräch zu kommen, einen Funken zu schlagen, Begeisterung zu erzeugen.
Nicht umsonst brachte ich meinen Aufsteller mit der Parole „Jede/r Einzelne zählt“ mit. Damit meinte ich jeden Touristen, jeden Shopper, jeden Neugierigen, jeden Migranten, jeden Deutschen, jede Schülerin, jeden Anwohner – mich selber übrigens auch.
Die Struktur der Montags-Demo ist m.E. so beschaffen, daß Individualisierung des Protestes, d.h.: Konkretisierung der Kritik an der Repression, der Anonymisierung, der Ausgrenzung Einzelner scheitern muß. Die Hamburger Montags-Demo erlaubt ein Stellschild „Jede/r Einzelne zählt“, weil es demokratisch ist. Mit dem „Einzelnen“ meine ich Menschen mit ihrer Geschichte, Individualität, Temperament. Die müssten sich untereinander vernetzen. Nicht austauschbare Nummern.
Toleranz allein reicht nicht. Ich erlebe diese Art „Toleranz“ als pure Gleichgültigkeit.
Bei der Hamburger Montags-Demo ist die MLPD überproportional vertreten. Der MLPD kommt das Verdienst zu, den logistischen Rahmen der Hamburger Montags-Demo zu bilden, z.B. indem sie Woche für Woche die Mikro-Anlage mitbringt. Einer sagte mir mal, es gebe hier Streitkultur. Praktisch habe ich davon nichts gemerkt.
Statt sich inhaltlich auseinander – und wieder zusammen zu setzen, wurde mir, selbst als ich moderierte, mehr als einmal das Mikro aus der Hand genommen von einer Frau, die sich offenbar als Chefin sieht.
Daß es bei der Hamburger Montags-Demo hierarchische Strukturen gibt, merkt man anfangs nicht.
Es wird einem aber spätestens dann klar, wenn man selbstbewusst eigene Ansichten vertritt.
Nicht Autorität an sich sehe ich als Problem, sondern daß Autorität und Struktur hinter einer demokratischen Fassade verschleiert werden.
Die HH-Montags-Demo ist eine gute Sache. Toll, daß einige Leute so lange durchhalten, teilweise seit 8 Jahren. Der Kern der Leute ist aber zu festgefahren und ideologisch verbohrt, um neue Impulse aufzunehmen.
Ich wies mehrfach darauf hin, daß das Offene Mikro ein klasse Ansatz ist, um sich in Rhetorik und eigener Sprache zu üben. Wer hat schon eine eigene Sprache? Tag für Tag werden wir manipuliert, überall, von Politikern, Massen-Medien, Fernsehen usw. Da könnte so ein Offenes Mikro wie eine Befreiung für den Einzelnen sein. Oder wie Oase in der Wüste sein. Ist es aber nicht, wenn das Offene Mikro nur benützt wird, um die immer gleichen Phrasen unters Volk zu bringen.
Da nützt es auch nichts, Formulare auszudrucken, auf denen jeder Interessent Name, Adresse, Tel.Nr. usw. angibt und ankreuzt, welche Aufgabe er / sie bei der Montags-Demo übernehmen möchte. So etwas ist lächerlich, wenn die gleiche Person einem ein Formular in die Hand drückt, um anschließend das Mikro aus der anderen Hand zu reißen. *
Mir ist aufgefallen, daß wichtige Dinge nicht angesprochen werden. Zum Beispiel die Rolle von Delegierten.
Ich nahm Anfang März in Kassel als Vertreter der HH-Montags-Demo an der bundesweiten Dele-gierten-Konferenz teil. Eigentlich ist so etwas eine Ehre. Wenn mich jemand wählt, um für ein bestimmtes Anliegen oder andere Menschen einzustehen, fühle ich mich geehrt. Prinzipiell. Nicht so in diesem Fall. Die Kommunikation mit dem anderen Delegierten war gleich Null. Bei meiner Rückkehr hatte ich nicht das Gefühl, daß mein Bericht überhaupt jemanden interessierte.
Seltsam fand ich später auch, wie mit Geld umgegangen wird.
Als Delegierter war ich einen ganzen Tag unterwegs. Und es war teilweise auch Arbeit, an der Konferenz teilzunehmen, Standpunkte zu vertreten und die Diskussion lebendig zu halten.
Daß diese Arbeit nicht bezahlt wurde, war klar. Aber daß ich auf 40 € Fahrkosten sitzen bleiben würde, ist bemerkenswert. Als Aktivist einer Montags-Demo, die gut 1500 € in der Kasse hat.
Bei den wöchentlichen Events am Mönckebergbrunnen geht regelmäßig eine Sammelbüchse rum.  Ich kann mich nicht erinnern, daß Passant etwas spenden. Nein, wir selber, auch ich, ließen es in der Büchse klimpern.
Wofür eigentlich? Weil Sparen Spaß macht?  *
Ich habe sehr viel gemacht im Rahmen der Montags-Demos, nicht nur für mich, sondern selbst-verständlich auch für Andere. Toleranz ist mir zu wenig. Die Toleranz, die ich hier erfahre, ist nichts anderes als Gleichgültigkeit. Davon erlebe ich anderswo schon genug.
Dafür brauche ich nicht Woche für Woche zum Mönckebergbrunnen zu fahren.

Der Kampf für ein besseres Leben, für sinnvolle Perspektiven geht weiter.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.                          *RS* 

3 Kommentare:

Uwe K. hat gesagt…

Die MLPD ist laut ihrem selbst verteilten "Verkaufsprospekt" eine sage und schreibe leninistisch-stalinistisch-maoistische Partei, und demnach steht sie für den total despotischen Kommunismus. Insofern wundert mich nicht, was bei der Hamburger Montagsdemo beobachtet wurde: Gleichgültigkeit. Es geht nicht wirklich darum, dem berechtigten Protest gegen Hartz4 eine Stimme zu verleihen am offenen Mikrofon, soondern um das Gegenteil, den Protest zu unterdrückem!

Die MLPD ist deshalb landauf landab mit der ORganisation der Montagsdemos betraut, um die Montagsbewegung als absolut linkextremistisches NO-GO zu desavouieren!

Wenn das nicht vom Verfassungsschutz und seiner V-Leute-Organisation so ausbaldowert wurde, wär mir das ein absolutes Rätsel, warum so eine absolut demokratiefeindliche Partei, deren Verbot verdächtigerweise niemand erwägt, den Montagsprotest so unter ihre Fittiche genommen hat.

Vorsichtshalber hat man jetzt auch rechtsradikale Montagsdemos inszeniert, z.B. in Mannheim und Ludwigshafen. Die Botschaft der Herrschenden, die diesen perfiden Verfassungsschutz organisieren ist klar: Geht nicht zu den Hartz4-Protesten, denn der kommt nur von den Schmuddelparteien :-(

Erich Heeder hat gesagt…
Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.
Erich Heeder hat gesagt…

Es ist so wie es ist,die Montags-
Demo hat vergessen,wo für sie eigendlich da sind !! Ich habe Raimund gewarnt,aber jeder soll seine eigene Erfahrung mit denen machen !! Die sind es nicht wert, sich da ein zu bringen !! Sie haben sich irgend wie verlaufen, und das schon ziemlich lange !! Um noch etwas zu sagen: "Seit wann schhmeißt man hier mit Abkürzungen rum ??" Wie so schreibt man das nicht aus, was aus zu schreiben ist ?? Hier ist von MLPD die Rede, und wer weiß da draußen, was diese Abkürzung bedeutet ?? Wenn ihr es nicht macht,dann mach ich es !! Hier die Auflösung:

http://de.wikipedia.org/wiki/Marxistisch-Leninistische_Partei_Deutschlands

Mit freundlichem Gruß, Erich