Montag, 15. Oktober 2012

Kreativität trifft Zukunft Elb-Insel (1)

Das Cover und der Titel gefallen mir. „Eine starke Insel mitten in der Stadt“ ist ein politisches Buch. Die Herausgeber sehen in Stärke offenbar etwas Positives. Der reich bebilderte Reader wurde letzten Monat vom Verein Zukunft Elbinsel herausgegeben. * Das Buch enthält gut 20 Artikel von diversen AutorInnen mit einer Vielzahl von Themen, die die jüngere Geschichte der Elb-Insel betreffen. 218 Seiten müssten eigentlich reichen, um alle wesentlichen gesellschaftlichen Bereiche des Stadtteils immerhin zu streifen. Weit gefehlt ... Auf S. 162-165 berichtet Melanie Klein über Aktivitäten der „engagierten Wilhelmsburger“. Diese Vereinigung sorgte in den letzten Jahren immer wieder für Furore mit phantastischen und mutigen Aktionen. Sie protestierte u.a. gegen die Hafenquerspange, fehlende Lärm-schutzwände, trat als "Grüne Prostituierte" auf, um auf die Anbiederungstaktik grüner PolitikerInnen hinzuweisen, zeigte katastrophale Fehleinschätzungen bei der Gentrifi-zierung durch IBA, igs und Hamburger Senat auf. Um nur einige der Aktionen zu nennen.* Ein weiteres Highlight in dem Band ist eine von Jörg von Prodzinski gezogene Bilanz über die massiven Umwälzungen, von der Parkanlagen, Biotope etc. in Wilhelmsburg betroffen sind. Von P. weiß als Biologe und Ökologe, wovon er spricht. Schnörkellos, frech, argu-mentierend auf hohem Niveau, aber auch mit einer Portion Humor (etwa was den mitt-lerweile legendären „Sprung über die Elbe“ betrifft) deckt er auf, was ihn stört. Da ist einiges. „IBA und igs – Verlust einer großen Hoffnung. Oder: die Geschichte einer Spaltung“ heißt seine polemische Attacke. Der Mann bringt es auf den Punkt. Er schreibt spannend und unterhaltsam. Er weiß, daß er zu einer winzigen Minderheit auf der Elb-Insel gehört, zu jeden nämlich, die tatsächlich Änderungen wollen und die sich nicht mit schönen Worten begnügen. * Und sonst? ... Klaus Lübke „kenne“ ich aus diversen Ztg.-Artikeln und schätze den Mann, obwohl er SPD-Mitglied ist. Er ist, untypisch für diese „Volks-Partei“, unbequem. Ein Sympathie-Träger. Einer, der gegen den Strich bürstet. ... + sonst? Viel Lächeln. Viele lächelnde Gesichter. Jasagende Gesichter. Argumente? Es sind durchaus Leute darunter, die mir sympathisch sind, Frauen wie Männer. NA UND? Gehe ich zu LIDL oder ALDI, treffe ich auch immer nette, sympathische Leute. Die ein Lächeln für mich haben. Spätestens an der Kasse. * Manuel Humburg spricht vom „Bürger-Engagement als Motor der Stadtent-wicklung“. Er ist selber Motor, als Mitbegründer des Vereins „Zukunft Elbinsel Wilhelms-burg“. Und als solcher entscheidet er, welche AutorInnen zu diesem Reader eingeladen und welche Themen behandelt werden. Das Buch ist förmlich auf den Mann zugeschnitten. Er weiß sich selber in den Mittelpunkt zu setzen und taktisch clever echte oder potentielle Unterstützer einzubeziehen. Manuel „Manni“ Humburg ist der Hugo Chavez der Elb-Insel. Der venezolanische Politiker verkauft den Liter Benzin für 1 oder 2 Cent an seine Lands-leute. Auf der Elb-Insel gibts keine Ölvorkommen, aber dafür jeder Menge Zukunft. Sogar kostenlos! Naja, nicht für alle, einige ziehen weg, weil die Mieten zu hoch werden, aber ansonsten gibt es Zukunft satt! Humburgs und die Seiten anderer Autoren sind überschrie-ben „Aus der Geschichte lernen“. Schön gesagt – vor allem wenn man selber festlegt, wessen Geschichte und welche Zeitabschnitte gemeint sind. Auf mehreren Seiten (55-57) seines Artikels „Zur Entmythologisierung von Weissbuch und Zukunftskonferenz Wil-helmsburg“ geht er auf die Wahlerfolge „rechter“ Parteien auf der Elb-Insel ein. Ja, was für ein schlimmer Schandfleck! Daß viele es wagten, „rechts“ zu wählen. „Entmythologisierung“ klingt  schwer intellektuell, fast wissenschaftlich. Humburg „entmythologisiert“, wie er behauptet. Und strickt gleichzeitig am eigenen Mythos, der Schelm. Vergeblich suche ich in seinem, aber auch den anderen Artikeln nach Hinweisen auf die ca. 600 durch igs- und IBA-Maßnahmen vertriebenen Kleingärtner. Bei so viel bedrucktem Papier hätte man/Frau auch diesen Menschen ein wenig Aufmerksamkeit schenken können. Mein Verdacht: Unter den Schrebergärtnern waren etliche Schill-Wähler. Und solche Menschen haben keine Zukunft verdient – oder weshalb werden sie hier einfach ausgeklammert? Und ich habe noch einen Verdacht, was die großen Wahlerfolge von DVU, Reps und Schill auf der Elb-Insel betrifft: Gerade auch deshalb wurde Wilhelmsburg von maßgeblichen SPD-, CDU- und Grünen-Politikern als Experimentierfläche für Gentrifizierungsmaßnahmen ausgewählt. Als Strafe sozusagen. Neben dem ökonomischen Kalkül: Wi.burg als Erweiterungsfläche für Hafen etc. - Zurück zu den Texten: Ich suche (außer in den anfangs erwähnten) nach zündenden Ideen, Geistesblitzen, richtig schlechten oder richtig guten=brillanten Artikeln – und finde nichts. Mittelmaß über Mittelmaß. Gefälligkeit reiht sich an Gefälligkeit. Wenns irgendwie kritisch wird, wird’s zugleich staubtrocken und langweilig. Nach dem Motto „Bloß nicht emotionalisieren!“ Der von mir erwähnte Prodzinski ist fast die einzige Ausnahme. Er schreibt emotional UND hat auch von der Sache her etwas zu sagen. Michael Rotschuh macht sich gleich auf 15 (fünfzehn!) Seiten breit über die Hafenspange. Sich selbst beschreibt er als „Alt-und-bald-Achtundsechziger“. Ist das witzig??? Der W.I.R. (Wil-helmsburger Insel-Rundblick) wird mit 18 (achtzehn!) Seiten gepusht – und wozu? Seite um Seite werden in chronologischer Reihenfolge Artikel aus den Jahren 2002 bis 2012 aufgelistet – ohne   Abbildung. Die Auflistung zeigt, welche Autoren und Themen für wichtig gehalten werden, und welche keine weitere Erwähnung wert sind. Die Mischung aus Selbstbeweihräucherung und redaktioneller Vetternwirtschaft, die sich wie ein roter Faden durch mindestens zwei Drittel des Readers zieht, verdirbt mir ein wenig den Spaß an der Lektüre. Andererseits gibt es einiges zu lachen, auch wenn es unfreiwillig komisch wirkt. Zum Beispiel die seitenlangen Ergebenheits- und Gruß-Adressen zum Zehnjährigen des „Zukunft Elbinsel“-Vereins. Es ist wie Fähnchen-Schwenken beim Kongreß der Volkskammer der DDR. Dort war nur ausnahmsweise das Volk vertreten. Die sog. Volksvertreter vertraten vor allem sich selber und ihre eigene Karriere. So ähnlich auch in diesem Buch.    *Dr. Buhmann*

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