Samstag, 4. August 2012

Sir Peter Ustinov "Vorurteile"

Ustinov (1921 - 2004) gelingt es in seinem Buch, unterhaltsam über ein ernstes Thema zu schreiben. Was verhindert die freie Kommunikation von Menschen untereinander? Was führt bisweilen zu heftigen, ja kriegerischen Konflikten? Was macht Menschen immer wieder unglücklich? Ustinov, der russisches, französisches, deutsches, italienisches und äthiopisches Blut in seinen Adern hatte, verweist auf verschiedene Arten von Voreingenommenheit, die das Miteinander erschweren oder unmöglich machen. „Vorurteile sind wie Marmorplatten, die unter sich ihre größten Rivalen, den Zweifel und die Wahrheit, begraben.“  beginnt das Kapitel „Kaugummi“ (S. 25-26). Der Satz sitzt. Und darin steckt eine provokativ formulierte philosophische Aussage, die es in sich hat! Der Schauspieler ("Quo vadis" u.a.), Regisseur, Schriftsteller und Dramatiker reiht mehr als 100 ein bis drei Seiten lange Geschichten in dem Buch aneinander, deren roter Faden die Macht des Vorurteils ist.  Einstein wird mit den Worten zitiert „Ein Vorurteil ist schwerer zu spalten als ein Atom“. Ustinov, der u.a. seit 1968 Sonderbotschafter der UNESCO war und mit seiner eigenen Stiftung Schulen in Afghanistan baute, wirft seinen reichen Schatz an Erfahrungen und Weis-heiten in die Waagschale, um für die Idee einer menschlicheren Welt zu werben. Ganz ausrotten wird er, werden „wir“ Vorurteile jedoch nie, das weiß jeder, der sich näher mit dem Thema befasst. Kein Vorurteil zu haben bedeutet, alles oder zumindest sehr viel über andere Individuen, Volksgruppen, Länder usw. zu wissen. Aufklärung ist vonnöten. Aber: Jede Aufklärung stößt irgendwann an ihre Grenzen. Es sind genaue Beobachtungen, mit Witz und Klugheit formulierte Begebenheiten, Gleichnisse beinahe, die das Buch in den schmalen Kanon sensibler politischer Literatur erheben. Ustinov ist Moralist, aber er unterläuft oder überspringt ideologische Fallen und Platitüden. Hier schreibt ein Kreativer – und nicht ein Oberlehrer. „Was ist ein schlagenderer Beweis für den Wahnsinn, als die Un-fähigkeit zu zweifeln?“  Bei diesem Satz fällt mir ein Beispiel aus der Tabak-Industrie ein, das Ustinov nicht mehr erleben konnte. Seit einiger Zeit irritiert MARLBORO mit dem Spruch „Don’t be a maybe“. Frei übersetzt heißt dies: Zweifle ja nicht! Zweifeln ist uncool, ungeil. Wer zweifelt, kauft nicht, ist ein schlechter Konsument... interpretiere ich. Vielleicht hätte Ustinov zu Lebzeiten diesen Spruch aus der Werbe-Branche aufs Korn genommen. * Der Autor und Schauspieler erwähnt mehrfach, mit welch großen Männern er befreundet war: Helmut Schmidt, Gorbatschov, Harry Belafonte. Damit verleiht er seinen Beobachtungen und dem ganzen Buch zusätzliches Gewicht. Es überzeugt mich jedoch nicht. Am Ende ermüdet es mich zu lesen, mit welchen super-bekannten und berühmten Menschen Ustinov per Du war. Ich bin sicher, daß er nicht übertreibt oder gar lügt. Aber ich fühle mich, je mehr er sich auf andere „Große“ bezieht, immer weniger persönlich angesprochen. Dabei berührt mich sein Thema ungemein.  224 Seiten, rororo    *R.S.* 
 

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