Dienstag, 17. Juli 2012

Antifaschismus ultra

Am Wochenende besuchte ich einen ehemaligen Genossen im Landeskrankenhaus Ochsenzoll. Er sitzt dort seit 24 Jahren in einer geschlossenen Abteilung der Forensik. Dort sind Männer und Frauen untergebracht, die ihre Delikte im Zustand (erheblich) verminderter Schuldfähig-keit begingen. Ich kenne G.K. (Namenskürzel geändert) seit 1974. Damals bewegten wir uns beide in der Hamburger Anarcho-Szene, wir waren Anfang 20. Ich erinnere mich an Treffs mit G. im „Vencerelda“, einem Laden in der Bachstraße in Barmbek. Manjak, ein schlaksiger, langhaariger Freak, gab die ZS „CoolyLully“ heraus, legte Platten auf und ließ den Joint kreisen. G., der eine Maschinenschlosser-Lehre angefangen hatte, war schon damals einer der Radi-kalsten. Seine Haltung war unverkennbar. Um dazu zu gehören, musste man gegen Spießer und radikal sein. Hauptsache dagegen. Es zeigten sich mitunter psychische Probleme und Identitäts-Konflikte, aber: „Psycho“ war out: Bloß nicht wehleidig sein. Irgendwann würde die Revolution kommen. Dann würde alles wieder gut werden. In Heidelberg gab es mal ein „Sozialistisches Patienten-Kollektiv“ (SPK), welches die kapitalistische Medizin und die Psychi-atrie im Besonderen als Feind betrachtete. Landeskrankenhäuser wurden generell abgelehnt. Der militante Kampf, so die radikale These, würde diese Einrichtungen überflüssig machen. Ich verlor G. ein paar Jahre aus den Augen. Ich war inzwischen aus der Polit-Szene ausgestiegen und feierte als Künstler kleine Erfolge im Widerstreit mit der gesellschaftlichen Entfremdung. G. lebte auf der Veddel und unterstützte mich bisweilen. Er redete nicht von Solidarität, sondern tat wirklich etwas. Das war selten. Dann verfiel er, zunehmend depressiv und verzweifelt, immer stärker seinem politischen Wahn-System. Er sah überall verkappte Nazis und Faschisten. In einem dieser Wahn-Anfälle verletzte er eine Kneipen-Wirtin mit einer abgebrochenen Bierflasche im Gesicht. Eine ältere Dame, die er ebenfalls als Nazi-Frau sah, bearbeitete er anderen Orts mit einem Hammer.  So landete G. vor Gericht, dann in der Foren-sik in Ochsenzoll. Die Abteilung, in der er seit einem Jahr wohnt, ist die fünfte, wenn ich mich recht erinnere, in der er untergebracht ist.  Je länger er in einer psychiatrischen Einrichtung lebt, desto unwahrscheinlicher ist es, daß er entlassen wird. Er steht sich selber im Weg, indem er, militanter Kämpfer gegen das System, Vertreter des Systems bedroht, die für die Überprüfung seiner Unterbringung zuständig sind. Natürlich könnte er, selbst wenn die Prognosen „positiv“ oder „günstig“ sind, nicht „in die Freiheit“ entlassen werden. Die ersten Schritte wären Vollzugs-Lockerungen, Ausgang in Begleitung u.ä. Solche Lockerungen gab es bereits – sie wurden zurück genommen. * Welchen Sinn machen meine Besuche? Ich glaube nicht mehr daran, daß ich meinen Ex-Genossen dazu bringen könnte, seine Fehler zu erkennen und eine Therapie zu machen. Therapie? – ist für ihn ein Teil des Systems, das er meint bekämpfen zu sollen. G. ist nach wie vor höchst ideologisiert. Jeder Linksradikale hätte Freude an seinen Äußerungen. Ich sehe in G’s linkem Ideologismus einen Panzer, mit dem er sich vor bestimmten persönlichen Erinnerungen und Gefühlen schützt. ::: Flucht vor der Verletzlichkeit in die Ideologie! Es gab, vor etlichen Jahren, einmal einen Punkt, an dem G. das nackte Elend anwehte – es wehte aus ihm heraus, sozusagen. Es war eine Gesprächs-Situation, an der auch eine Frau beteiligt war. Vielleicht ist ein weibliches Wesen eher in der Lage, sein Inneres zu berühren. *** Eines ist klar: Die Psychiatrie von außen zu kritisieren ist einfach. Alternativen aufzuzeigen und praktisch zu entwickeln ist das eigentlich Schwierige. Daran hat sich schon manch einer die Zähne ausgebissen bzw. den Mund fusselig geredet. Immerhin: Die Abteilung, in der er jetzt untergebracht ist, scheint mir streng, aber nicht so unangenehm wie die Station davor. Dort musste ich sogar meine Mütze ablegen und wegschließen. Angeblich könnte ich unter meiner Kopfbedeckung irgendwelche geheimen Botschaften schmug-geln. Ich habe eine Botschaft, die jedoch weder geheim noch neu ist. Sie lautet: Ein Mensch kann in jeder Situation, sei sie auch extrem, kreativ sein. Er muß dafür jedoch etwas tun. Kreativität ist kein Automatismus, im Gegenteil. * Die fachliche und menschliche Qualität des Personals, der Schließer, Betreuer usw. ist ein wesentlicher Faktor, der das Leben in der Forensik beeinflusst bzw. beeinträchtigt. Leben oder Vegetieren? – das ist hier die Frage, meint der Blogger  *R.S.* 

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