Montag, 12. Dezember 2011

Lektüre: "Außenseiter" von Hans Meyer


Das 1975 erstmals erschienene Buch ist so etwas wie ein Klassiker der Außenseiter-Forschung. Hans Meyer (1907-2001) war Professor für Literatur-Wissenschaft in Leipzig u.a. Er entwickelt den Außenseiter-Begriff als Literarischen Topos, mit sehr komplexen, durchweg verständlich geschriebenen historischen Rückgriffen auf Antike, Mittelalter, Renaissance, Aufklärung, Neuzeit usw. Es geht also nicht primär um "engagierte" (in bestimmten scenes populäre) psychologische oder soziologische Arbeiten zum Thema, sondern um zu Literatur (Theater, Erzählungen, Lyrik etc.) gewordene Darstellungen von Außenseitern aus praktisch allen Epochen der westlichen Kultur. Es gab/gibt Figuren wie Judith, Dalia, Jeanne d'Arc, Shylock; es gab Künstler/ Schriftsteller, die selber Außenseiter waren und/bzw. Außenseitertum zu einem zentralen Thema in ihren Werken machten (Lichtenberg, Weininger, Oscar Wilde, Rimbaud; Verlaine; Sartre, Flaubert, Jean Genet, Celine usw.). Von zentraler Bedeutung sind dabei die Juden, die lange vor dem Holocaust eine besondere Bedeutung für die abendländische Kultur haben/hatten. * Das Buch ist wissenschaftlich und bleibt dabei sehr lebendig, für mich über weite Strecken sogar spannend. Fast wie ein Stück Bellestristik. Manches wusste ich bereits, das meiste noch nicht. Ganz neu kist für mich z.B., daß Leo Trotzki, der Theoretiker der Permanenten Revolu-tion, ein profunder Literaturkenner war. Er war einer der mächtigsten Männer der Russischen Revolution, versuchte jedoch, im Unterschied zu Stalin, Künstler nicht zu intrumentalisieren. "Trotzkis Kunstpolitik ist neugierig, respektvoll vor allem Schöpfertum, offen in den Formen, Stalin installierte eine besserwisserische Regulierung, verachtete die Machtlosigkeit der Künstler ... " Trotzki setzte sich intensiv u.a. mit den Futuristen auseinander, wie auch mit den Syrrealisten, kannte u.a. Breton persönlich. Er forderte die absolute Freiheit der künstleri-schen Produktion. (S. 447). "Die freie Themenwahl und die absolute Nicht-Beschränkung seines Erforschungs-Gebietes stellen für den Künstler ein unveräußerliches Recht dar." (S. 439) "Dem für sein Leben entscheidenden Komplex der Revolution und der Literatur hat sich Trotzki sowohl als Revolutionär wie als Literat gestellt in dem 1924 abgeschlossenen Buch "Literatur und Revolution", das zu seinen bedeutendsten und aufschlußreichsten gehört." ... S. 447: "Trotzki hielt sein Judentum für einen belanglosen Zufall ... Sein Schreiben empfand er als durchaus funktionsgebunden im Dienst der Weltrevolution. Sein Gegenspieler (Stalin) ..., der kein Jude war und nicht schreiben konnte, auch das Schreiben verachtete, war in alledem der absolute Gegenspieler. Stalin hinterließ ein -verstörendes - System. Trotzki hinterließ - verstörende - Bücher und Gedanken." * Sehr spannend und aufschlußreich auch Meyers Untersuchungen über Ferdinand Lassalle. usw usw. * Das Buch bekommt einen besonderen Platz in meiner Privat-Bibliothek. * 530 Seiten, isbn 978-3-518-41902-1; preisgünstig bei 2001 erstanden. *R.S.*

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