Sonntag, 8. Mai 2011

Undercovere-Agent unter Hell's Angels


In "Falscher Engel" beschreibt Jay Dobyns (Co-Autor N.Johnson-Shelton) seine Arbeit als ver-deckter Ermittler im Südwesten der USA. Es gelingt ihm, mehrere Charter der Motorrad-Gang Hell's Angels zu unterwandern. Er macht seinen Job so gut, daß praktisch alle auf seine Schau-spielerei hereinfallen, selbst Sonny Barger, der legendäre Gründer des MC. Das Buch ist ein Reißer und läßt an Spannung nichts zu wünschen übrig, ein "Reality"-Krimi sozusagen. Die Autoren verwenden die echten Namen der Beteiligten und zeigen authentische Fotos etlicher H.A.'s, um die es bei den Ermittlungen geht. Am Ende des Unternehmens (2003), an dem ein ganzer Stab Agenten beteiligt war, wurden 1600 Beweisstücke (Sprengstoff, Rohrbomben, Napalm, Schalldämpfer, Granaten, Drogen, 1600 Gewehre ...) beschlagnahmt. Zur großen Enttäuschung Dobyns mussten jedoch etliche Anklagepunkte fallen gelassen werden. Es reichte "nur" für mehrere zeitlich begrenzte Haftstrafen. Auch daß auf zwei H.A. eine Mordanklage wartet, mindert nicht den Frust des Agenten. * Der Autor behauptet (S. 452), es gehe ihm vor allem um "Ehrlichkeit". Zeitweise plagten ihn Selbstzweifel und moralische Skrupel - vor allem hinsichtlich seiner Familie. Zudem genoß er das Vertrauen zahlreicher Outlaws, die ihn als Freund, ja Verbündeten ansahen. Erstaunlicherweise behauptet er im Nachwort (S. 444), angeblich "mit gutem Gewissen", daß er die systematisch hinters Licht ge-führten Rocker "nicht getäuscht habe". Zum Reinwaschen seiner Tätigkeit gehört auch die pauschale Verun-glimpfung der H.A., die "auf ihrem hohen Roß sitzen blieben" (445), als "widerwärtigste Subjekte der Gesellschaft" (448). * Bei mir bleibt ein schaler Nachgeschmack. Als Polizist tat D. seine Pflicht. Und noch etwas mehr. Dazu gehörte auch eine Taktik, die trickreiche Lügen und Anstiftung zu Straftaten einschloß. Ich denke, der eigentliche Betrug bzw. "Verrat" an den Outlaws, die er mit seinem Buch in dien Pfanne haut, besteht darin, daß er den Job nicht mit der Entlarvung krimineller Machenschaften abschließt. Statt dessen versucht er seine bezahlte Arbeit durch die Veröffentlichung des Buchs zum zweiten mal in bare Münze zu verwandeln. Er kommerzialisiert seine Erfahrungen. Und nun wirds peinlich: Um sich keine Kritik von Rezensenten und Moralaposteln einzufangen -was sich negativ auf die Rentabilität des Buchs auswirken könnte- betont er, daß er "die zahl der Schimpfworte, die ich benutzte" einschränk-te, und gesteht, noch peinlicher, "leider habe ich auch die Worte "Alter" (oder "Mann") häufiger verwendet als im Buch (453). Bei so viel auflagen-orientierter Selbst-Zensur und pin-geligster Beachtung der political correctness (pc IST "die" korrekte, von Staat und Kirchen als "richtig" anerkannte Sprache) ist nur konsequent, daß er schließlich das Klischee des "guten", mustergültigen Staatsbürgers reproduziert, der sich wieder dem zuwendet, was ihm nach der aufwühlenden Undercover-Tätigkeit noch geblieben ist: "Gott, guten Freunden, meiner Fa-milie". * Und die Hell's Angels machen weiter. Sie sind das Original, an dem sich andere ab-zuarbeiten versuchen und damit Geld verdienen. Ullstein-Verlag, 464 S., 10 € 30. *R.S.*

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