Mittwoch, 30. März 2011

Helga Goetze Sophia - Pilgerin


Helga Goetzes Stickbilder berühren mich. Viele dieser Bilder wirken kindlich und naiv, keines-wegs "professionell". Helga lehnte das Etikett "Künstlerin" für sich ab. Sie bezeichnete sich als "Hausfrau", die herausfinden will, was mit der Gesellschaft und im Besonderen der Sexualität los ist. Konsequenterweise versuchte erst garnicht, Kontakte zum Kunstmarkt zu knüpfen und kommerziell zu werden. Die Stickbilder waren ihre Meditation, mit der sie zu sich fand und neue Räume auftat für ihre öffentlichen Auftritte und ihre schriftstellerische Arbeit. Ich habe ein großes Archiv von Texten und Bildern. *R.S.* Auf ihrer Website finden sich weitere Informationen ...

Dieter Kunzelmann; "Leisten Sie keinen Widerstand!"


Bereits 1998 erschien die Kunzelmann-Autobiografie, untertitelt "Bilder aus meinem Leben". Wer bisher nur das Klischee des Berufs-Chaoten, Kommune 1-Gründers, Spaßguerilla-Apologe-ten, gesuchten Terroristen etc. kannte, dem sei dieses Buch ans Herz gelegt. Angefangen bei seiner Kindheit in katholischem Milieu -der Meßdiener trug ratzekahl geschnittenes Haar a la Wehrmacht- über Erfolge als Tischtennisspieler (bayrischer Jugendmeister 1956) bis zu den spektakulären Aktionen, mit denen er ab ca. 1967 für Krawall und erhöhte Aufmerksamkeit (vorsichtig ausgedrückt) bei Polizei und Justiz sorgte, bietet der 1939 Geborene einen überaus vergnüglichen und abwechslungsreichen Reigen seines Schaffens, Protestierens, Rollenspiels. Ich bekomme einen guten, sicher auch gut kalkulierten Eindruck in das Denken der lebenden Legende. Ein echter Nachfahre Till Eulenspiegels, aber auch Bakunins und anderer Umstürz-ler. Eine Ikone des linksradikalen Widerstands in der BRD, an Witz und Erfindungsreichtum Fritz Teufel in nichts nachstehend. "Leisten Sie keinen Widerstand!" ist reich bebildert und spannend geschrieben. * Was ich bisher nicht so genau wusste: D.K. begann seine Laufbahn als Künstler: Mitglied der Gruppe "Spur", Protagonist der "Subversiven Aktion", den Situationis-ten nahe stehend. Mit dem bürgerlichen Kunst- und Kulturbetrieb hatte er schon damals nichts am Hut - es sei denn als Vorlage, um zu stören. In der Berichterstattung der Medien steht das Clowneske oft im Vordergrund - dabei war (oder ist? - Keine Ahnung, was er heute macht) Kunzelmann viele Jahre ein ernst zu nehmender Politiker: Abgeordneter der AL, Kandidat der KPD etc. Aber: Wo hört Spaß auf und wo fängt Ernst an? Bei D.K. mischt sich beides in kaum ergründlicher Weise. Das macht ihn für gewisse Justizkreise gefährlich, für Künstler und Linke faszinierend, und für viele Normalbürger verabscheuungswürdig.
Hadayatullah Hübsch, der 1969 ein paar Monate in der K1 wohnte, beschrieb mir D.K. als Despoten. "Der wollte sogar vorschreiben, welche Zigarettenmarke wir rauchen sollten." Au-toritäres Verhalten macht den Mann nicht unbedingt sympathisch. Seine Verdienste um die linksradikale Bewegung bleiben unbestritten. * "Phantasie an die Macht" lautete ein Slogan der damaligen Bewegung. Kunzelmann erstritt sich immer wieder ein bißchen Macht. Aber da ihm diese auf Dauer langweilig wird, und mit seiner Ideologie kollidiert, probiert er wieder etwas Anderes aus. Vielleicht liege ich in meiner Einschätzung auch falsch. Um es genau zu wissen, müsste ich den Mann wohl selber fragen. Ob er wohl ernsthaft antworten würde? * 208 Seiten, Transit-Verlag, isbn 3-88747-132-6

Dienstag, 29. März 2011

Lieber Metin Hakverdi!


Du hascht geschiegt! Wie SCHÖÖÖÖN! Die eSCHPD regiert jetscht allein in Hambursch. Und Du bischt unser Bürgerschaftsabscheordneter. Ich fragte misch manschmal schon: "Ischt denn die eSCH-Pe-Deh noch eine Volksch-Partei?" Nun weisch ich esch! Du hascht an "alle Haushalte" eine Karte mit Mitgliedschantrag geschickt. Sogar an misch! Du dankscht für unser + auch mein Vertrauen. + isch danke Dir für Deine Poscht. Isch dachte schon, Du hättest misch vergeschen... Vor schwei Monaten hatte isch dir nämlisch eine mail geschickt, in der isch auf Probleme mit der IBA hinwiesch. Und wartete auf eine Antwort. Isch dachte, Du hättescht mal kurz zurückgemailt. Dann wurde mir klar: Du hattescht einfach schu viel mit dem Wahlkampf schu tun. Du und Deine Genoschen und Genoschinnen! Aber nun wird allesch gut! Du hascht mich doch nischt vergeschen. + isch Disch auch nischt! *

Entschuldische bitte meinen etwasch nuschelischen Ton. Isch war beim Zahnarscht. + der hat mir schwei Tschähne getschohschen. Aber dasch wird schon wieder!

Dein Raimun Schamschon (Dieser Blog wurde am 31.3. von mir überarbeitet. Jetzt geht's auch mit den Zähnen schon wieder besser ... R.S.)

Wilhelmsburg anonym + militant




In letzter Zeit klirren hier die Scheiben. Die Ziele der unbekannten Militanten: Eine "Wohn & Gewerbe Immobilien"-Firma, die "Kurt Group Immobilien" und die "Gesellschaft für Stadtentwicklung/Sanierungsbüro Veringstraße". Der Sachschaden ist beträchtlich. Nahe bei wurde vor wenigen Wochen ein Auto abgefackelt. Solche Aktionen werden, auch wenn sie als "Signal" gemeint sind, keine Revolution auslösen. Im Gegenteil. Die attackierten Einrichtungen setzen ihre Politik fort, die Polizei bekommt eine Menge zu tun, auch einige Glaser-Betriebe und Versicherungen. Das war's denn ... Bei 99 % der Bevölkerung stößt anonyme Militanz auf Unverständnis und Ablehnung. * Ich finde Protest richtig, meinetwegen radikal, ABER: Anonyme Sachbeschädigungen sorgen nur für Ärger und wecken im Extremfall Ängste. Vielleicht wollen die Täter genau das. * Mein Hinweis an diese Leute: Vergeudet eure Energie und Risikobereitschaft nicht in sinnlose Gewalt, sondern investiert sie in ein konstruktives, radikales und kritisches Miteinander. Die Elb-Insel verdient positives Engagement. *R.S.*

Montag, 28. März 2011

Eulenspiegel März 2011


Schon das Cover ein fetter Knaller - und weiter geht es Schlag auf Schlag in dem Heft (84 A4-Seiten). Ich komme kaum dazu, Luft zu holen: Ein Gag jagt den nächsten - ob Texte, einzelne Fotos, Zeichnungen, Cartoons, Bild-Erzählungen: Jede Seite ist vollgestopft mit Lachern, Krachern, Pointen ... Nur: Mir fehlt ein roter Faden. Den SOLL es wohl auch gar nicht geben. Stilistische Einheit: Fehlanzeige. Eine ganze Armada von Gag-Lieferanten scheint dem Eulenspiegel zuzuarbeiten. Mir ist diese Ausgabe zu unübersichtlich. Zu VIELE Themen, zu dichtgedrängt die Gags auf zu WENIG Platz. Bei den unzähligen Raketen, die hier gezündet werden, seh ich vor lauter Knall-Effekten nichts mehr. * Vielleicht sollte ich das Heft nicht jeden Monat, sondern nur 1 oder 2 mal im Jahr lesen! * Der Preis ist lachhaft niedrig: Nur 2 € 80. *R.S.*

Samstag, 26. März 2011

Ina Müller: BRAVO!


Der Titelblatt-Aufreißer der heutigen Hamburger MoPo-Ausgabe ist Ina Müller. Angeblich rede-te sich die Moderatorin und Schlagersängerin während der Echo-Preisverleihung mit "peinlichen Sex-Witzen" um Kopf und Kragen. So fragte sie, auf dem Schoß eines Plattenmoguls sitzend: "Kann man sich auch noch mit 45 in der Branche hochschlafen?" Und legte nach, als sie etwas von untren in ihren Hintern drücken fühlte: "Ich hoffe, das ist nur Ihr Haustürschlüssel!" Bisher brachte ich kein sonderliches Interesse für die Entertainerin auf. Das wird nun anders. Wer auf diese Weise einer schnarchlangweiligen Veranstaltung seinen Stempel aufdrückt, besitzt eine Klasse, die den meisten unserer Stars und Sternchen abgeht. Was tun die anders als so zu funkti-onieren, wie man es von ihnen erwartet. Wie öde! Wer wie Ina Müller auf dem "Echo"-Jahrmarkt der Eitelkeiten andere Töne anschlägt, genießt meine Sympathien. * Die MoPo tut so, als sei sie ins Mark getroffen. Komisch. Bis vor einiger Zeit ging sie noch mit leichtbekleideten Mädchen auf Quotenjagd. Nun versucht sie sich offenbar als Wächterin von Anstand und korrektem Benehmen zu profilieren. - Der Auftritt von Ina Müller war ungewöhn-lich und herzerfrischend. PEINLICH ist allein die Tatsache, daß die MoPo aus ein paar Witzen einen Riesen-Skandal macht und damit die erste Seite füllt. Aus reiner Quoten-Gier. *R.S.*

Fukushima mahnt: Alle AKWs abschalten!




Unüberschaubare Menschenmassen auf der Moorweide beim Bahnhof Dammtor. 2o.000? 25.000? Hamburg erlebte die größte Demo seit dem Super-GAU in Tschernobyl 1986. Fahnenmeere ... relativ wenig Flugblattverteiler ... gut gelaunte Menschen ... viele Kinder auch ... ein paar Wagen mit Aufbauten ... vereinzelt individuell gestaltete Transparente ... *R.S.*

Freitag, 25. März 2011

Briefmarke


Kraken / Tintenfische gelten als intelligent, aber kurzlebig.
Ein Bekannter moniert: "Die Arme mit den Saugnäpfen müssen geändert werden. So, daß sie die ganze Insel komplett umschlingen."
Ich halte diese Einschätzung eher für Wunschdenken.
Oke, "realistisch" ist das Bild nicht, aber ... irgendwie ...
::: Eine Krake verbreitet zur Ablenkung eine dunkle Flüssigkeit, wenn sie sich behelligt oder bedroht fühlt. Tun dies nicht auch gewisse staatliche Institutionen? Die IBA definiert sich selber in dem Buch "Kreativität trifft Stadt" als Katalysator... (lt. DUDEN ein "Stoff, der ... chemische Reaktionen herbeiführt, selbst aber unverändert bleibt...") + die Krake führt mit ihrer Tinte doch auch eine chemische Reaktion herbei, bleibt "selbst aber unverändert" ...!!!
Naja, so ganz stimmt der Vergleich nicht, aber ... *R.S.*

Donnerstag, 24. März 2011

Bernie Kelb - "Organisieren oder organisiert werden"


Zunächst ein Blick ins Internet: Unter "Bernie Kelb" finde ich 8130 Ergebnisse. Die meisten (neueren Datums) beziehen sich auf sein Buch "Betriebsfibel", das erstmals 1971 im Wagen-bach-Verlag erschien. Auf der Homepage "syndikalismus.wordpress.com" lese ich "Wieder-herausgegeben: Die 'Betriebsfibel' für revolutionäre Betriebsarbeit von Bernie Kelb 15. April 2010". Angaben zur Person konnte ich nirgends finden. Dies paßt zu meiner kurzen Begegnung mit B.K. vor acht oder neun Jahren. Über den Kabarettisten Ulrich Reineking kam es zu einem Treffen mit Kelb, der zumindest damals in Bremen lebte. Er war in seinem ganzen Auftreten völlig sachbezogen, machte keinerlei Aufhebens um seine Person und (private) Geschichte. Er schenkte mir damals einen Karton mit 15 oder 20 Exemplaren von "Organisieren oder organisiert werden". Ich gab sie damals weiter - bis auf 2 Expl. Danach brach der Kontakt zu B.K. wieder ab. *
Das Buch trägt den Untertitel "Vorschläge für Genossen links unten", umfasst 96 Seiten und erschien als Taschenbuch bei Wagenbach (Nr. 39 in der Reihe "Politik"). Das Buch ist von einer klaren, präzisen Diktion; schnörkellos in der Sprache und gut verständlich geschrieben. Wenn es in den frühen 70-er Jahren so etwas wie eine Rezeptur gab für Genossen, die sich engagieren wollten für die Revolution, an die damals viele glaubten oder zumindest darauf hofften, dann dieser Reader. Die Tendenz ist unverkennbar anti-autoritär - in einer unaufgeregten, sich jeder Emotionalisierung enthaltenden Art. Aus heutiger Sicht wirkt natürlich vieles antiquiert: Durch das Ende des sog. "real existierenden Sozialismus" gab es grundlegende Änderungen in der gesamten linken Szene wie auch im gesellschaftlichen Überbau. Vom Begriff "Arbeiter-klasse" ging noch nicht der Mief des Abgestandenen, Überholten, Illusionären aus. Ähnliches gilt für Parteien und andere Organisationen, Initiativen, undogmatische Gruppierungen. Von daher weiß ich nicht, ob es sinnvoll wäre, das Buch wieder aufzulegen. Den Autor halte ich für so realistisch in der Einschätzung der heutigen Situation, daß ich annehme, daß er einer Neuauflage wohl nur mit Vorbehalten zustimmen würde. Möglicherweise müsste das ganze Buch oder zumindest einzelne Kapitel komplett umgeschrieben werden. Ich kann mir auch nicht vorstellen, daß Bernie Kelb noch einmal dem Buch ein Wolf Biermann-Zitat voranstellen würde. Trotzdem - ich glaube sagen zu können: Gerade junge Menschen könnten "Organisieren oder organisiert werden" auch knapp 40 Jahre nach seinem Erscheinen mit einigem Gewinn lesen. Zumindest als Geschichtsbuch. * Auch das Buch enthält keinerlei biografischen Hinweis. B.K. müsste heute so um die 70 sein - falls er überhaupt noch unter den Lebenden weilt. * 1974 lag die Auflage bei 12.000 Exemplaren; vielleicht ist es antiquarisch zu erwerben. Für Interessenten: Eines der beiden in meinem Besitz befindlichen Expl. würde ich verschenken. *R.S.*

Mittwoch, 23. März 2011

Thema: GLÜCKLICHE ARBEITSLOSE


2002 erschien ein Buch mit "Aufrufen, Manifesten und Freiheitspapieren der Glücklichen Ar-beitslosen". Was machen diese Leute heute? Auf www.diegluecklichenarbeitslosen.de stammt der letzte datierbare Eintrag von 2001. Schade! Mir ist die Idee sehr sympathisch: Als Arbeitsloser GLÜCKLICH zu sein, nicht zum Riesenheer jener zu gehören, die in Sack und Asche gehen, weil sie keinen Job haben. * Bei der Lektüre des Buchs ahne ich, daß sich diese als Massenbewegung ("Wieviel sind wir? Wir schätzen: Ein paar Millionen in Europa") geträumte Initiative offenbar tot-gefaulenzt - nein: tot-POLEMISIERT hat::: Als Satire gingen die Texte noch an - die Verfasser meinen sie aber anscheinend bitterernst. *
Clever beginnt der Herausgeber und Autor Paoli mit Hinweisen, wie die Texte NICHT zu lesen seien. Etwaigen Kritikern soll von Vornherein der Wind aus den Segeln genommen werden. Lässig wird die "häufigste und heftigste Kritik" zurückgewiesen, die die "Glücklichen Arbeits-losen" und ihre ZS "Müßiggangster" ab Mitte der 90-er Jahre erfuhren. In einem Nebensatz wird mal eben Max Stirner, theoretischer Begründer des Individualanarchismus ("Der Einzige und sein Eigentum") einverleibt. Gelesen hat ihn Paoli wohl kaum. Stirner war zwar extrem in seinem Denken, aber beileibe kein Großkotz. * Leider lenken die AutorInnen ihren Haß, Wut und notorische Rechthaberei nicht allein auf (aus ihrer ideologischen Sicht::) Feinde wie Arbeitsämter, Armee, Universitäten etc., sprich: Staat allgemein, sondern auch pauschal gegen Andersdenkende. Was sich hier auf gut 200 Seiten austobt, ausgehend von mitunter pointiert beschriebenen Mißständen: Schaffung von Scheinarbeitsplätzen, Verfälschen von Statistiken, Aufblähen des bürokratischen Apparats usw. ... ist von einer Selbstverliebtheit und Arroganz, die einem nicht häufig geboten wird. * Ein Zitat aus dem Aufsatz "Auf der Suche nach unklaren Ressourcen": "Glück ist bürgerlich. Glück ist unverantwortlich. Glück ist undeutsch". Das ist von der Sache her zwar Blödsinn - aber wer wagte in diesen Zeiten, wo die Frage der Nationali-tät für extreme Polarisierung sorgt, dem Autor Paoli, "französischer Staatsbürger korsischer Abstammung" zu widersprechen? Aus Watzlawicks "Anleitung zum Unglücklichsein" wird zitiert, auch Lautreaumont wird wie nebenbei einverleibt und, ganz doof, Aristoteles wird zu den "Glücklichen Arbeitslosen" gezählt. Vor keiner Abstrusität wird halt gemacht. Ganze Be-völkerungs-Gruppen werden pauschal mit Häme überzogen: "Gewiß gibt's auch Studenten, Künstler und andere Wichtigtuer, die kein Papier schreiben und keinen Napf lecken können, ohne zu behaupten, sie leisteten eine "wichtige Arbeit" (S. 38). Künstler scheinen mit der Feind Nr. 1 zu sein. In "Stil(l)eben mit Kunstglied" wird, nicht ganz zu Unrecht, behauptet: "Die Kunst ist die letzte Hochburg der Arbeitsmoral". An anderer Stelle heißt es unverschämt und herablassend: "Wenn Arbeitslose versuchen, Kunst zu machen, wird das Ergebnis nicht unbe-dingt überzeugend. Wenn Künstler versuchen, Arbeitslosigkeit zu thematisieren, wird meistens das Ergebnis recht katastrophal. Banalitäten der gutgemeinten Betroffenheit, Klischees der ökonomischen Gehirnwäscherei, Idiotismen der Parteipolitik. Was versteckt sich hinter diesen toten Masken?" Eines scheint gewiß: Der Autor versucht erst garnicht, eine Antwort auf die Frage zu finden. Ihm genügen verbale Pauken- und Rundumschläge. *
Fazit: Die sich selbst "Glückliche Arbeitslose" nennenden Autoren dogmatisieren und verabso-lutieren ihre Position. Was bisweilen wie ein Frage- und Antwortspiel wirkt, ist de facto ein Pseudo-Diskurs. Die Problematik, von der ausgegangen wird: Massenarbeitslosigkeit, ist gravierend. Mit der Diffamierung von Menschen, die eine positive Einstellung zur Arbeit haben und mit "Besuchen" (sprich: Belästigungen) mißliebiger SachbearbeiterInnen in Arbeitsämtern etc. werden die anstehenden Probleme einer Lösung keinen Schritt näher gebracht. Forde-rungen nach einer Reduzierung der Arbeitszeit auf wenige Stunden (für die, die es wollen), werden als "Wurstelei" (S. 40) diffamiert. Destruktiver geht es kaum. * Bleiben mir am Ende als Leser zwei Fragen:
1) Wieso machen sich diese Leute die ARBEIT, ein Buch zusammenzustellen?
2) Sind sie tatsächlich "glücklich"? - Edition Tiamat; 208 S., isbn 3-89320-062-2 *R.S."

Kunstbüro Wilhelmsburg: Gesang, Lesung, Geburtstag


Ich liebe diese Momente, wo sich Inszenierung und "Realität", Gefühl und Denken, das "Echte" und die Illusion vermischen. Alles dreht sich darum, geliebt zu werden und, wenn die Kraft reicht, selber zu lieben. Von allem gab es viel an diesem Abend im Westend. Freundschaftliche Hochstimmung. * Mein 59. Geburtstag: Am liebsten möchte ich die Zeit anhalten, aus jeder Minute eine Stunde machen, um intensiver und genauer wahrzunehmen. * Helmut spielte Saxophon, die überbordende Maria sang italienische Arien, Eberhard Höhn und Raoul Beyderov trugen Texte vor, der gemütvolle Willi Wacker intonierte Schlager, der Treffpunkt-Chor sang das Wilhelmsburg-Lied, Monika und Manfred brachten mir von einer Weltreise Geschenke mit. Dazu Essen von Bettina, Reni, Anni und weitere Beiträge, Geschenke. Rose sorgte wie immer für die Dekoration. + alles unplugged. Mit einem guten Schuß Improvisation. Da darf man getrost die Kunst-Theorie hinten anstellen. Der Mensch im Mittelpunkt. Jeder Einzelne. *R.S.*

Dienstag, 22. März 2011

wcw-gallery : Gespräch mit Björn Beneditz


Seit 4 Jahren existiert in Wilhelmsburg eine Galerie, in der in ca. monatlichem Abstand Künst-ler-Innen aus dem In- und Ausland vorgestellt werden. Die vier Betreiber sind (ehemalige) HfBK-Studenten. Mit einem von ihnen, Björn Beneditz, führte ich ein längeres Gespräch. * Die WCW-gallery ist ein auf Unabhängigkeit ausgerichtetes Unternehmen und nicht kommerziell orientiert. Die präsentierten Künstler sind im weitesten Sinn der Konzept-Art zuzurechnen. Bis Ende letzten Jahres wurde der Betrieb ausschließlich mit eigenen Geldern am Leben erhalten. Seit Anfang 2011 finanziert die Kulturbehörde die Miete und stellt darüber hinaus eine Summe zur Verfügung, um die Ausstellungs-Projekte und Kooperationen mit ähnlichen Initiativen ökonomisch abzusichern. Die Betreiber sind nun zu einem Spagat gezwungen: Einerseits die (relative) Autonomie zu bewahren - andererseits, als Koop-Partner, die mit der Bezuschussung verbundenen Auflagen zu erfüllen. *
Wilhelmsburg ist für Künstler ein hartes Pflaster. Die gesamte Kultur-Szene, zu der Kunst-Projekte in der Regel hinzugezählt werden, stehen unter dem Diktat sozialer Paradigmen und Wertvorstellungen. Der nivellierende Einfluß des sozialen Gefüges ist enorm. Künstler stehen unter dem Generalverdacht, "elitär" bzw. unverständlich zu sein. Dabei machen sich auf der Elb-Insel nur sehr wenige die Mühe, die persönliche Geschichte und individuelle Motivation Kunstschaffender zu verstehen und sich mit den komplexen Prozessen, die untrennbar dazu gehören, vertraut zu mnachen. * Das "Asoziale", das bei dem Begriff "Kunst" bisweilen assozi-iert wird, oft auch zu Recht, verdient eine eingehendere Untersuchung. In unserem Gespräch rissen wir diesen Aspekt nur kurz an. Der Diskurs soll fortgesetzt werden.
* Die nächsten Ausstellungs-Termine in der Galerie, Mokrystr. 5:
2. April: Mauricio Guillen (Gast: Genoveva Filipova); Vernissage 19 Uhr
7. Mai: Ponds magazine; 25. Juni Michaela Mellian. * Öffnungszeiten: Nach Vereinbarung.
Weitere Infos finde sich auf der Website: www.wcw-gallery.com
Ich empfehle einen Besuch. Bei meinen bisherigen Besuchen wurde ich stets gastfreundlich und respektvoll behandelt. *R.S.*

Montag, 21. März 2011

Zeitschriften: "Maulhure"


Aus Essen schickte mir Mit-Herausgeber Urs Böke die Maulhure #1. Böke ist seit Mitte der 90-er Jahre ein Protagonist der deutschen Literatur-Underground-Scene. Bis vor einigen Jahren gab er das Fanzine "ratriot" heraus. Das Heft zeichnete sich durch seine Aufmachung: s/w-Collagen als Hintergrund für Hardcore-Gedichte, frech und oft scheinbar ziemlich "frei nach Schnauze" geschrieben (-wie lange ein Dichter an einem Text arbeitet, wissen nur wenige Leser-). In der "Maulhure # 1" nun sind etliche Autoren versammelt, die damals schon mitmischten und teilweise bis heute eigene Zeitschriften herausgeben (-gaben): Hadayatullah Hübsch ("holunder-ground"), Frank Bröker (härter"), Marcus Mohr ("Straßenfeger"), Roland Adelmann ("Der Kulturterrorist tanzt den Bulettentango"), Hermann Borgerding ("3d-silbig"), Jürgen Ploog ("gasolin 23" - legendär!); des weiteren Jerk Götterwind, Robsie Richter, Wolfgang Korte, Stefan Heuer, Andreas Schmitt u.a. Einige lernte ich persönlich kennen - naja, was man so unter "persönlich kennen lernen" versteht : auf Festivals, bei Lesungen. Einige waren auch in Wilhelmsburg zu Besuch. * Vor ungefähr 10 Jahren zog ich mich aus der Scene zurück - nach einigem Streit und aufgrund teilweise unüberbrückbarer Differenzen. Ich will die Geschichte hier nicht wieder aufkochen. - Nun finde ich es spannend, mal wieder ein paar Le-benszeichen zu sehen. * Urs Böke hat eine Website: www.ratriot.jimdo.com , die ich wärmstens empfehle. Seine Homepage ist sehr originell und gut gemacht. Man kann dort auch Gedichte lesen, Bücher und Anthologien anschauen und käuflich erwerben. * Maulhure # 1 hat die isbn 978-3-941134-61-4, ist 98 Seiten stark und kostet 8,95 €. *R.S.*

Sonntag, 20. März 2011

Bildungsoffensive auf den Elb-Inseln


Endlich geschafft! Eine Baustelle weniger ... Das neue Wandbild des Kunstbüro auf der Plakatfläche der Bücherhalle Wilhelmsburg/Kirchdorf (gegenüber der S-Bahn) konnte endlich angebracht werden. Das Wetter war uns freundlich gesonnen. Der Entwurf stammt von Inga Sawade. Inga konnte beim Plakatieren leider nicht helfen, da sie noch krank ist. Mit dabei: Thomas und Matthias - wie schon zuletzt bei diversen Aktionen. * Bis Juni haben wir erst einmal Ruhe. Wir verwendeten erstmals einen Spezialkleber, der uns in den nächsten Monaten von Ausbesserungs-Arbeiten verschont. Hoffen wir ... *R.S.*

Samstag, 19. März 2011

Richard Florida - "Reset"


Florida, Jahg. 1957, gilt als weltweit einflußreichster Experte in Sachen Wirtschaftsgeografie. Der renommierte Ökonom ist ein gefragter Redner - und ein führender Kopf der amerikanischen "gentrification". In Deutschland genießt er bei vielen Gentrifizierern (nicht nur der IBA) Kultsta-tus. "Große Resets sind umfassende, grundlegende Umwälzungen der wirtschaftlichen und sozialen Ordnung und beschränken sich längst nicht allein auf ökonomische und finanzielle Er-eignisse. Ein echter Reset verändert nicht nur die Innovations- und Produktionsweise, sondern führt zu einer völlig neuen Wirtschaftsordnung" entnehme ich dem Klappentext. *
Ich kaufte mir das Buch, weil mich auch theoretische Hintergründe dessen, was ich seit 4 Jahren in diesem Stadtteil hautnah miterlebe. Floria bietet da einiges an Informationen. Alleredings geht er primär von us-amerikanischen Verhältnissen aus. Er analysiert die Krisen der ame-rikanischen Wirtschaftsordnung, die jeweils auch zu tiefgreifenden Änderungen des sozialen Gefüges führten, eloquent und in einer auch für den Laien verständlichen Sprache. Mit anderen Worten: Ein äußerst kompetenter Fachmann auf seinem Gebiet, der sei Wissen und seine Erfahrungen zu vermitteln weiß. * Ein zentraler Begriff bei Florida ist die "creative class". Er definiert diesen nicht explizit, aber bei der Lektüre kann ich mir einen Reim darauf machen. Er meint Künstler, aber auch andere Kreative in unterschiedlichsten Positionen: Designer, Programmierer usw., eine völlig unübersichtliche, mittlerweile ins Gigantische angewachsene Zahl von Menschen, die nicht mehr (auf vereinfachende Weise) der "produ-zierenden Klasse" (Arbeiter) zuzurechnen sind. Leider nennt Florida keine Künstler beim Namen, auf die er sich in besonderer Weise bezieht. Vielleicht gibt es in den USA keine, die sich in besonderer Weise auch theoretisierend mit gesamtgesellschaftlichen Bezügen auseinander setzen. In Deutschland haben/hatten wir Beuys, den Erfinder des Begriffs der "sozialen Plastik" und Protagonisten des "erweiterten Kunstbegriffs". Aufgrund der Lektüre kann ich nachvoll-ziehen, daß Florida auch in diesem Land ein gern gesehener Gast ist. Das amerikanische Modell läßt sich jedoch nicht einfach auf Deutschland übertragen. Es gibt gravierende Unterschiede sowohl im Werte-System als auch in den sozialen Organisations-Strukturen. Allerdings: Wir nähern uns mehr oder weniger leise us-amerikanischen Standards an. Ein Assimilations-Prozeß ist im Gang, der jedoch noch auf erhebliche Barrieren stößt. * Florida mangelt es nicht an Selbstbewußtsein - kein Wunder bei den Erfolgen, die er vorzuweisen hat. Eine gute (psycho-logische) Voraussetzung für noch mehr Erfolg. * 248 S., isbn 978-3-593-39125-0 *R.S.*

Freitag, 18. März 2011

Lektüre - Nicolas Born "Die erdabgewandte Seite der Geschichte"


1976 erschien der Roman "Die erdabgewandte Seite der Geschichte". Beim Lesen fühlte ich mich angenehm berührt. Das passieret mir eher selten. Die Rücksichtslosigkeit des Ich-Erzählers, auch sich selbst gegenüber, erinnerte mich an R.D. Brinkmanns "Keiner weiß mehr" - was nicht bedeutet, daß er stilistisch auf dessen Spuren wandelt. Born (1937-79) erzählt äußerst fein, meisterhaft ... und läßt mich nicht spüren, wie konstruiert und künstlich das Gebilde Roman ist. "Die erdabgewandte Seite" ist ein sehr sinnliches Werk, in das reflexive Passagen rhythmisch eingeflochten sind. * Der Inhalt: Es geht um das Scheitern der Beziehung zu einer Frau - oder, ich bin mir nicht sicher, geht es um das Scheitern der Liebe schlechthin? Die "Beziehung" geht ja irgendwie weiter. Der Erzähler ist geschieden und hat eine Tochter, die er mehrmals besucht und die auch zu ihm nach Berlin kommt. ** Ein Buch zum Gernhaben. Ich kann mich darin einlesen, einlassen wie auf einen Menschen. Der Schriftsteller äußert sich sperrig, unbequem; ein Privatmann, der sich einem (mir) aber doch erschließt. Unaufgeregt. * rororo; 254 S., 580-isbn 3 499 14370 4 *R.S.*

IBA - Künstler-Community


Auf dem Gelände des ehemaligen Kubi-Centers (Veringhöfe-Nord) stehen zwei Gebäude mit 4000 qm Nutzfläche leer. Sie wurden von der IBA aufgekauft, um darin eine "Künstler-Community" unterzubringen, die dort ihre "Heimat" finden sollen. 2009 gab es eine erste Aus-schreibung. Ich reichte für meinen Kunstbüro-Verein entsprechende Unterlagen ein. Sie wurden von einer IBA-Dame mit den Worten entgegen genommen: "Bedenken Sie bitte, Herr Samson, daß Sie nicht der einzige Bewerber sind!" Kurz darauf kam auch schon die Ablehnung. Begründung: Unser Konzept sei "nicht ganzheitlich genug". * Es gab mehrere Ausstellungen und Tage der Offenen Tür in den Veringhöfen. Ich schaute mir Bilder, redete mit einigen KünstlerInnen. Nette Gespräche, einige interessante, viel versprechende Projekte. * Da die Räume nicht verschenkt werden (Kaltmiete 4,50 - 6 € pro qm), ist es nicht einfach, die Flächen zu vermieten. Im letzten Jahr bekamen sogar wir noch eine Chance - da erst die Hälfte der Flächen vermietet war. Ich lehnte ab. Das finanzielle Risiko schien mir zu groß. *
Ende 2011, dies meine letzte Information, sollen die KünstlerInnen einziehen. Für die Grundsa-nierung und den Umbau der Gebäude stehen insgesamt 4 Mill. € zur Verfügung. Die hübsche Summe belegt den Ehrgeiz, mit dem das Projekt angegangen wird. *
Ich bin skeptisch, was die großflächige Ansiedlung von Kreativschaffenden unterschiedlicher Art betrifft. Erwarten die Verantwortlichen, daß plötzlich ein Boom einsetzt und Menschen-massen nach Wilhelmsburg strömen, um Skulpturen zu kaufen, sich in Fotostudios ablichten zu lassen, an Workshops teilzunehmen und Theater zu spielen? Womit werden die Kreativen ihre Räume bezahlen? Es wird Anschubfinanzierungen durch das A-Amt und andere Institutionen geben, vielleicht werden zusätzliche Sponsoren gefunden. Wahrscheinlich wird die Hamburgi-sche Kulturstiftung besonders großzügig verfahren. Den Künstlern sei's gegönnt. Und dann? Was passiert nach ein oder zwei Jahren? * Ich bin seit 22 Jahren in diesem Stadtteil aktiv und weiß von daher: Die Elb-Insel verfügt nicht über das Käufer- und Interessenten-Potential, um die Arbeit einer größeren Zahl von Künstlern ökonomisch abzusichern. Das dürfte auch die IBA wissen. Also werden entsprechende flankierende Maßnahmen durchgeführt, um Wi.burg-Veddel "attraktiv" zu machen und Leute mit Geld anzulocken. Dabei wird übersehen, daß die Elb-Insel auch so schon in mehrerer Hinsicht attraktiv ist. Das ist den Gentrifizierern egal. Ihnen geht es um eine Wert-Steigerung, die allein ökonomisch orientiert ist. Ihr Qualitäts-Kriterium sind Umsatz und Verkaufserlöse. Aus betriebswirtschaftlicher Warte ist das vernünftig - aus künstlerischer Perspektive Unfug. *
Vor den Veringhöfen-Nord steht ein Info-Block, auf der die Betreiber mittels einer Grafik veranschaulichen, was nach ihrer Einschätzung die Stunde geschlagen hat. Die gesamte Elb-Insel inclusive Veddel und einige Randbezirke sind mit blau-weißen Streifen eingerahmt. Die IBA zeigt unverhohlen ihren Allmachts-Anspruch. Potenz-Gehabe? Daß sie über gigantischen Einfluß verfügt, der bei den Behörden beginnt und mittlerweile bis ins Privatleben vieler InsulanerInnen hineinreicht, ist unbestritten. Daß sie sich ein Monopol über das anmaßt, was unter Kunst, Kreativität und Künstler-Gemeinschaften zu verstehen sei (nicht nur die blau-weiße Grafik veranschaulicht diese tendenziöse Haltung), kann ich nur zurückweisen. Eine Kurs-Korrektur ist nicht zu erwarten. Dazu fehlt, meine ich, die Fähigkeit zur Selbstkritik. Irgendwann aber, denke ich, wird sich die Arroganz gewisser Leute rächen. "R.S.*

Donnerstag, 17. März 2011

Wagenplatz Zomia (3)


Demnächst besucht mich ein alter Bekannter aus Achim für ein zwei Tage. Der Anlaß: Die Leute von ZOMIA stellen Fotos aus ::: Innenansichten ihrer Bauwagen, in denen sie seit Herbst letzten Jahres leben.
Vom 4.-8.April sind die Bilder im Bürgerhaus zu sehen; vom 11.-22.April in der Bücherhalle Wilhelmsburg-Kirchdorf; anschließend im Freizeithaus Kirchdorf-Süd.
Weitere Infos: wagenplatz.zomia@googlemail.com
Ich fotografierte die Wagen von außen und saß in zweien auch. Etwas gewöhnungsbedürftig, aber sehr romantisch und vielleicht auch gemütlich.
Ich werde meinen Bekannten zur Ausstellung begleiten, aber ehrlich gesagt: Mich interessieren eher die Bewohner als die Fotos ihrer Behausungen.
Rein äußerlich bietet so ein Wagenplatz einen denkbar starken Kontrast zum Städtebau - zu unseren gewohnten Steinhäusern, Betonburgen. Was würde sich -abgesehen von Äußer-lichkeiten- hier ändern, wenn die Leute ein Bleiberecht über April hinaus bekommen? Was würde sich FÜR UNS, die Insel-BewohnerInnen, ändern?
Anregungen von innen wie von außen tun dem Stadtteil gut. Nur: Es drängen in den letzten Jahren viele Menschen hierher, von denen man kaum mehr mitbekommt als hohe Erwartungen und noch höhere Ansprüche.
Immerhin: Um Gentrifizierung wird es Zomia sicher NICHT gehen, d.h. die Wagenplatz-Be-wohner dürften kaum vom Ehrgeiz getrieben werden, das Image vom Wilhelmsburg aufzumotzen. Uns ist nicht das Image wichtig, sondern die Menschen selber, die hier leben.
Wird sich Zomia aktiv am kulturellen Leben beteiligen - oder wollen sie lieber ein wenn auch geduldeter Fremdkörper sein? * Spannende Fragen. Teilweise finden sich Antworten darauf in einem Artikel im neuen w.i.r., den eine Wagenplatz-Bewohnerin schrieb. *R.S.*

HCU - Universität der Nachbarschaften


Im Rotenhäuser Damm/Ecke Rotenhäuser Wettern residiert seit einigen Jahren eine Depen-dance der Hafencity Universität (HCU). In dem halb zerfallenen Gebäude findet vom 13. - 20.3. ein Workshop statt (in Verbindung mit "Civic City Zürich"). Das Thema lautet "Made in ... Lokale Praktiken urbaner Produktion". * Ich führte ein Gespräch mit einigen der Architektur-StudentInnen. Die Aufmerksam- und Freundlichkeit der jungen Leute berührte mich sehr angenehm. Ich wurde gleich eingeladen, mitzuessen: Phantastisch! * Zunächst hatte ich Vorbe-halte. Ein Bekannter, der direkt gegenüber wohnt, hatte mir erzählt, daß ihm die Durchführung einer Musik-Veranstaltung in den Räumen verweigert wurde. Was hat das mit "Nachbarschaft" zu tun, dachte ich; und dann auch noch die elitäre Aufmachung als "Universität"!? ... Es stellte sich heraus, daß hier wohl ein Mißverständnis vorliegt - die jungen Leute jedenfalls wussten von der Angelegenheit jedenfalls nichts. In ihrem Verhalten deutete auch nichts auf irgendwelche Dünkel oder Absichten, BewohnerInnen auszugrenzen. Im Gegenteil! ... Natürlich setzen Studium und Workshop gewisse Prioritäten. * Im Zusammenhang mit dem Workshop gibt es eine Ausstellung. Am Samstag, den 19.3. ist die Vernissage (die genaue Uhrzeit weiß ich nicht - sie geht wohl den ganzen Tag). * Einige der Workshop-TeilnmehmerInnnen werden auch in Zukunft in dem Gebäude arbeiten, studieren, forschen. Sie haben alle Möglichkeiten, die Räume nach ihren Zielvorstellungen umzubauen und zu gestalten.
** Über die Website www.localproduction.net ist mehr zu erfahren. Man kann sich auch regelmäßig Informationen zuschicken lassen: subscribe@localproduction.net **
Die weitere Perspektive: Das Gebäude wird noch bis 2013 als Labor / Experimentier-Raum genutzt. Mein Eindruck ist, daß sich auch WilhelmsburgerInnen mit eigenen Ideen und Projek-ten einbringen können. - Es wäre ja wohl auch das Allerletzte, wenn Bewohner dieses Stadtteils betteln müssten, um mitzumachen. *R.S.*

Mittwoch, 16. März 2011

Peter Sloterdijk - "Du mußt dein Leben ändern"


Eine Freundin, der ich das 2009 erschienene Buch empfohlen hatte, sprach mich an: "Mensch, ist das kompliziert! Damit kann ich kaum was anfangen." Meine Antwort ging in diese Richtung: Kompliziert mag es tatsächlich sein, auch wenn es in einer -nach meiner Einschätzung- gut verständlichen Weise (:: für einen Philosophie-Laien wie mich) geschrieben ist. Schon das Thema, um das es geht, ist alles andere als einfach. Jedes menschliche Leben ist kompliziert - es sei denn, man reduziert es auf ein paar Begriffe wie "Arbeit", "Sex", "Erfolg", "Gesellschaft", "Politik" usw. und reflektiert dann systematisch, wobei man diese Begriffe als Orientierungshilfe nimmt. Die Freundin war offenbar einem Mißverständnis aufgesessen und hatte eine Art Gebrauchsanweisung oder praktischen Ratgeber erwartet. Dies ist "Du mußt dein Leben ändern" keineswegs - auch wenn der Titel ähnliches suggerieren mag. * Sloterdijk bezieht sich damit auf eine Gedichtzeile von Rainer Maria Rilke. Des Weiteren - ich rede von den ersten Kapiteln - spinnt er in seinen (auch) erzählerischen Diskurs Nietzsche ein, Kafka und Cioran, einen (Exil-) rumänischer Schriftsteller, der von manchen zu den "Existentialisten" ge-rechnet wird. * Zu Beginn seiner Darlegungen spricht der Autor von der "anthropotechnischen Wende" und formuliert den provokativen Satz "Ein Gespenst geht um in der westlichen Welt - das Gespenst der Religion". Nun gibt das Buch keinen Anlaß, im Autor einen "Atheisten" zu sehen oder einen Menschen, der ideologischer oder dogmatisierender Weise Position bezieht. Die grundlegende Aussage, die ich aus der Lektüre zog, war: Es gibt sehr vieles, das eingeübt werden kann. Dem Begriff des "Einübens" kommt in dem Buch eine zentrale Bedeutung zu. Denk- und Vorstellungsweisen, Haltungen gegenüber dem Leben, der Gesellschaft usw. sind hinterfragbar - und neue, andere Denk- und Vorstellungsweisen können eingeübt werden. * Ich habe dieses Buch mit einigem Gewinn für mich gelesen. Die unaufgeregte Art des Aufzeigens und Argumentierens empfinde ich als angenehm. Sie beruhigt mich geradezu. Zudem finde ich, bei bestimmten Fragestellungen und Problemen, immer wieder Aspekte, die für mich neu sind, überraschend. Das Buch hat auch insofern mein Leben verändert, als ich durch das Lesen einen Einstieg fand, mich auf philosophische Fragen überhaupt einzulassen. Meine Lese-Erfahrungen bis dato waren nicht gerade fruchtbar. Es gibt Philosophen, deren Sprache so verklausuliert ist, daß ich sie nicht verstehe (z.B. Kant). * Irgendwann werde ich "Du mußt dein Leben ändern" wohl ein zweites Mal lesen. Es bietet Ansätze/Anregungen, bei sich selber zu forschen und weiter zu denken in einer äußerst komplexen Themen-Welt. * Ich empfehle das Buch allen, die über ein Mindestmaß an Bildung verfügen und ihr eigenes Leben nicht als abgeschlossen betrachten. ; 730 Seiten, isbn 978-3-518-41995-3; Suhrkamp *R.S.*

Japan

Gut, daß ich keinen Fernseher mehr habe - sonst säße ich jetzt den halben Tag vor der Glotze.
* Wie KOMFORTABEL doch unsere Situation in germoney "trotz allem" ist! *
Es gibt hier bereits die ersten Konsequenzen: Die Bundeskanzlerin läßt 7 Kernkraftwerke ab-schalten. Bravo, Frau Merkel - auch wenn ich Ihre Partei noch nie gewählt habe.
Jetzt helfen keine schönen Worte, auch keine Kunst ... *R.S.*

Dienstag, 15. März 2011

Peter Paul Zahl - "Die Glücklichen"


Der anarchistisch-linksradikale Roman erschien 1979. Damals verbüßte der Schriftsteller, der im Januar im Alter von 66 Jahren starb, noch eine Gefängnisstrafe wegen zweifachen Mordversuchs und Widerstands gegen den Staat. Die Handlung spielt im Berlin der 60-er und 70-er Jahre. Protagonisten sind die Tresorknacker und Diebe Jörg und Niko und die Freundinnen Ilona und Martha und deren Dunst- und Freundeskreise. Sie ziehen in eine Kommune. Mit von der Partie ist Mutter Hemmers, eine Prolo- und herzensgute Frau, Mutter von J. und N. * Zahl baut seinen Roman sehr abwechslungsreich auf. da wechseln hoch-lyrisch erzählende mit berlinernden Passagen. Die Perspektive wechselt: Mal erzählt ein Mann, dann Ilona, eine ex-rauschgiftsüchtige Prostituierte, die durch Panzerknacker Jörg ins linksradikale und RAF-nahe Lager wechselt. Der Autor mischt Milieu-Schilderung mit provokanter politischer Aussage, stellt z.B. die Drogen-Ga-noven-Scene neben den persischen Geheimdienst SAVAK und dessen Aktivitäten in Berlin zu Schah-Zeiten. * Teilweise brachte mir das Buch großen Spaß bei der Lektüre. Zahl flunkert und emotionalisiert wunderbar und berührt mich -anders als gewisse linke dogmatische Schriften - tatsächlich, packt mich bei meinen Gefühlen. Der Autor scheut sich nicht vor gewissen Niederungen, wo ihn der pure Haß - oder ist es 'Ehr-lichkeit`? - dazu bringt, Polizisten als 'Schweine' zu verhohnepiepeln - seitenlang. Das erscheint sehr gewollt, gekünstelt in seinen Formulierungen. Erträglich sind solche Passagen, weil der Autor es nicht beim Haß bewenden läßt. Sein vernichtendes Urteil über gewisse Menschen in Uniform ist nur ein Teil des anarchistischen Epos. PP Zahl verfügt über eine satte Portion Humor und Körper-Gefühl - und so empfinde ich den Untertitel "Schelmenroman" als überaus zutreffend. * Man muß die Situation des Autors verstehen, um seine Wut zu begreifen. Schreibend kämpft er um seine geistige, emotionale und darüber auch um seine politische Identität. Es geht vordergründig um Ganoven-Szene und linksradikale Politik, auf einer anderen Ebene aber auch um biografische Brüche und Verstümmelungen, die dem Individuum durch die Gesellschaft zugefügt werden ... UND um deren Überwindung bzw. Versuche, sie zu überwinden. Frei nach dem Motto: man kann nur Mensch sein in dieser Gesellschaft, wenn man GEGEN die Verhältnisse anlebt. "Die Glücklichen" ist ein Buch des Widerstands. Am Ende des mehr als 500 Seiten starken Romans geht dem Autor ein wenig die Puste aus. Die Schilderung der noch in der Wiege liegenden Tochter Jörgs und Ilonas erscheint mir seltsam "altklug". Und dann die Ballonfahrt am Ende zu Mama Hemmers (a la Jean Paul) finde ich ziemlich aufgesetzt. Trotzdem empfehle ich das Buch wärmstens. "Die Glücklichen" ist der einzige wirklich SUBVERSIVE Roman (vom Thema und von der formalen Gestaltung her), den ich in den letzten 30 Jahren gelesen habe. Last but not least wegen einer in das Werk eingeflochtenen Ausgabe der Zeitung "Der glückliche Arbeitslose" (mit vielen Zeichnungen, Comics, Collagen). * Ein political non correcter Roman ... Wie ANDERS dagegen die heutige Linke, die auch in ihrer Sprache viel gleichförmiger ist als Radikalen der 60-er und 70-er Jahre. * Rotbuch-Verlag, isbn 3-88022-702-0 ; wohl nur noch antiquarisch erhältlich; *R.S.*

Wilhelmsburger Insel Rundblick


Das im A4-Format gedruckte Heft erscheint bereits im 17. Jahr und wird normalerweise monat-lich unters Volk gebracht. Die neue Ausgabe umfasst 32 Seiten, die Auflage beträgt 7500 Expl. Bei ca. 50 000 Stadtteil-Bewohnern, denen nicht gerade der Ruf vorauseilt, besonders bildungshungrig zu sein (es gibt zwei Bücherhallen und eine einzige Buchhandlung), ist das schon etwas. Das Heft finanziert sich ausschließlich über Anzeigen. Seit dem Herbst fällt ein erklecklicher Zuschuß weg. Die IBA butterte bis dato für jeweils 4 Seiten Eigen-Reklame ganz nett in die Kasse. * NACHTRAG 24.3.: Von der Redaktion erfuhr ich, daß IBA und igs nach wie vor Anzeigen schalten. + die 4 Seiten "Eigen-Reklame" (:: Newsletter der Bildungs-Offensive" der IBA) fallen NICHT aufgrund kritischer Berichterstattung über die IBA weg. ... * Bis heute erschienen alle w.i.r.-Ausgaben in s/w-grau und konservativem Layout. Ich halte dies für angemessen - das Heft dient als Forum für sachbezogen formulierte Information und, bei aller bisweilen durchdringenden Emotionalität, letztlich rationaler Analyse (::meine persönliche Einschätzung). * Die # 2/3-2011 stellt mit Fotos die derzeitige Redaktion vor: 4 Herren und 2 Damen. Weiter geht es über Kürzungen bei Betrieben, die 1€-Jobber beschäftigen sowie E16-Maßnahmen durchführen. In Wilhelmsburg ein brennendes Thema - die Arbeitslosigkeit liegt über dem Durchschnitt. * Ein kritischer Artikel befasst sich mit der igs (Internationale Gartenschau) 2010. Die Fähigkeit, als "Leitprojekt der Umwelthauptstadt" zu fungieren, wird in Frage ge-stellt. "Auf den Erhalt wertvoller Stadtnatur und sogar die Einhaltung naturschutzrechtlicher Bestimmungen müssen in HH offenbar engagierte Bürger achten, da die Umwelthauptstadt und ihre Ämter dazu nicht willens oder in der Lage sind". Wie wahr! (Zum Vergleich: In einer Eimsbütteler Lokal-Zeitung war kürzlich der Streit um einen (!) Baum, der gefällt werden sollte, der Aufreißer auf der ersten Seite. In Wilhelmsburg geht es (: igs/IBA) um 1000-e Bäume). * Weitere Artikel drehen sich um den "Wegfall des Freihafens" und geforderte Umbau-maßnahmen bei den Nordischen Ölwerken (: Geruchsbelästigung...). * Mariano Albrecht läßt sich über die Hamburger Wahlen aus, mit ironisch-frechen Seitenhieben auf Politiker-Kungeleien. Leider geht er nicht speziell auf die Wi.burger Wahl-Ergebnisse ein. Weshalb eigentlich? Weil es ein "schlechtes Licht" auf die Elb-Insel wirft, daß hier nur 42 % ihre Kreuzchen machten? * Zum wiederholten Mal wird der Wagenplatz Zomia thematisiert - oke! * Ausführliche Darstellung findet das Thema "Eine soziale Wohnungspolitik für Wilhelmsburg". * Ich möchte nicht jeden Artikel kommentieren; vieles berührt mich nur peripher, einiges interessiert mich nicht. * Unterstützenswert finde ich das Heft allemal - wo sonst finden Insu-laner ein Forum, um eigene Projekte, Ideen, Kritik, Erfahrungen usw. mitzuteilen? Das Motto des w.i.r. lautet: "Von Vielen für Alle". Die Redaktion dürfte es nicht leicht fallen, die richtigen (nach welchen Kriterien?) Beiträge und Zuschriften auszusuchen. * Auf der Website www.inselrundblick.de werden u.a. Auszüge der jeweils aktuellen Ausgabe veröffentlicht. Außerdem gibt es eine CD mit den kompletten Jahrgängen 1994-2005 zu kaufen (10 €). *R.S.*

Geburtstag & Lesung & Abendessen


Tja, SOOOO viel auf einmal!
Das Kunstbüro Wilhelmsburg veranstaltet jeden Monat ein Abendessen; schon zuletzt in Verbin-dung mit einer Lesung. * Raoul Beyderov und Eberhard Höhn gehören zur Autoren-Runde von Peter Schütt, der im letzten Monat Gast war. * Mit Helmut Reithofer hatte ich schon gemeinsame Auftritt : Er Saxophon, ich Puppentheater. * Willi Wacker ist eine kölsche Froh-Natur und singt gemütvolle Schlager ...
Nun also auch mein Hinweis und Einladung an meine Blog-LeserInnen. Falls Ihr in Wilhelmsburg wohnt oder gerade in der Nähe seid ...
Wie lange wird es gehen??? ... ::: Open end ... 22 Uhr oder länger?

HERZLICH WILLKOMMEN!

Montag, 14. März 2011

Eine Frage der Reife


Bist du ein ein hart-
gewordenes Brötchen,
in das niemand rein-
beißt, weil der Auf-
schnitt aus
HartzIV-Formularen
besteht -

oder ein
Marmeladenglas
voll herz-
erweichender Smilies?

Wie wär's mit nem Workshop;
Motto:
"HURRA,
mein Leichnam
stinkt noch nicht!"

(Dieser Text ist ein Nachtrag ... + sei jenen deutschen KünstlerInnen ins Poesie-Album gekritzelt, die sich nicht entblöden, ihren Status (:HartzIV-Empfänger) mit dem der von den Nazis Ausgelöschten zu vergleichen - siehe mein Blog "Judenstern im Hosenstall" vom 29.9.2010 ) *
- p.s. Ich bestreite selber einen Großteil meines Einkommens durch Arge - R.S.

Trauer um Günter Amendt


Am Samstag passierte in Eppendorf ein grauenhafter Unfall. Ein offenbar bekiffter PKW-Fahrer überfuhr eine rote Ampel, touchierte ein anderes Autor und schleuderte in eine Gruppe Passanten. Vier Menschen starben, etliche wurden schwer verletzt. Unter den Toten: Günter Amendt. Der Schriftsteller wurde ab den 70-er Jahren einer breiten Öffentlichkeit durch "Sexfront" (bis heute eine Auflage von mehr als 500.000 Expl.) bekannt. Das Aufklärungsbuch zeichnet sich durch Kreativität (Texte, Fotos, Comics) und schnörkellose Klarheit aus. Auch mir half es ein Stück aus meiner Verklemmtheit. * Mit Amendt starben der Schauspieler Dietmar Mues, seine Frau und die Designerin Angela Kurrer. *R.S."

Berühmte Verbrecher - Pablo Escobar


Welche Faszination von mächtigen und zugleich kriminellen Persönlichkeiten ausgeht, zeigt nicht nur das Beispiel Josef Stalin. * In den 80-er und 90-er Jahren wurde Kolumbien durch die Aktivitäten der Drogen-Kartelle heftig durcheinandergewirbelt. Ein Hauptverantwortlicher dafür war Pablo Escobar (1949-93), der Boß des Medellin-Kartells. Er organisierte den lukrativen Drogenschmuggel per Flugzeug, Schiff, U-Boot etc. und befehligte Dutzende von Leibwächtern, Kurieren und Auftragskillern, die ihm zuarbeiteten. Der Mann war äußerst clever, entsprach er doch gleichzeitig dem Klischee des gutbürgerlichen Familien-Menschen. * 1984 kam es, nach der Ermordung des kolumbianischen Justizministers, zu einer Wende in der Landes-Politik. Bis dato war die Überstellung von Drogenhändlern an die USA nicht möglich. Nun wurden Gesetzesänderungen vorangetrieben, um Auslieferungen zu ermöglichen. Dagegen kämpften Escobar und seine Leute mit allen Mitteln an. U.a. kam es zum Sturm auf das Justizministerium, bei dem mehr als 100 Menschen ums Leben kamen, darunter 11 der 24 ranghöchsten Richter des Landes. Die Aktion wurde von Guerillas der M-19 ausgeführt, die dafür 2 Mill. US-$ erhielten. In der Folge wurde die Auslieferungs-Kampagne gestoppt. Escobar baute sein Imperium weiter aus. Er schien nicht greifbar zu sein. Dann passierte Unglaubliches. 1991 beugte sich der kriminelle Milliardär scheinbar dem Druck, "ergab" sich mit einigen Vertrauten und bezog ein eigens für ihn umgebautes Gefängnis, wo er von einigen seiner besten Leibwächter umgeben war und, trotz hunderten von staatlich besoldeten (und bestochenen) Wächtern seine Geschäfte weiterführte. Als er aus dieser Residenz floh, weil seine Auslieferung an die USA unabwendbar schien, steigerte sich der Krieg zwischen dem Medellin-Kartell, Polizei und Armee sowie Paramilitärs zu beinahe täglichen Massakern, bei denen von allen Seiten schwerste Verbrechen begangen wurden. 1991 kamen allein in der Stadt Medellin 7091 Menschen gewaltsam ums Leben. * James Mollison beschreibt in seinem Reißer "Escobar - der Drogenbaron" den Aufstieg und Fall des aus einfachen Verhältnissen stammenden Mannes vom Auto- und Grabstein-Dieb zum Auftrags-Killer, Drogenschmuggler, Kongreßabgeordneten und schließlich Staatsfeind Nr. 1. * Das reich bebilderte Buch zeigt von Bombenanschlägen verwüstete Gebäude, zerfetzte Leichname, tonnenweise beschlagnahmtes Kokain, Fotos von Killern und ihren Opfern. Es geizt auch nicht mit Aufnahmen von der bieder-folkloristischen Seite des Volkshelden. Er unterhielt u.a. einen Privat-Zoo mit Nilpferden und anderen exotischen Tieren. Sehr populär wurde er dadurch, daß er sich spendabel gegenüber kleinen und großen Fußballvereinen zeigte. Von einigen Landsleuten wird er noch heute wie ein Heiliger verehrt. Er ließ nämlich 400 Häuser ("Barrio Pablo Escobar") bauen, die er Armen und Obdachlosen kostenlos überließ. Er entwickelte sein Imperium also nicht nur kraft mörderischer Gewalt und Skrupellosigkeit, sondern nutzte, mit feinem Instinkt versehen, auch die Ungerechtigkeiten der Gesellschaft und die Schwäche des kolumbianischen Staates aus, um sich beliebt zu machen. Er sprang dort in die Bresche, wo der Staat die Menschen mit ihren Bedürfnissen im Stich ließ. Wenn es um das nackte Überleben geht, fragen die Leute nicht unbedingt danach, woher das Geld kommt, mit denen ihre Häuser gebaut - erst recht nicht, wenn sie ihnen geschenkt werden. In manchen Unterkünften hängt das Konterfei Escobars noch 20 Jahre nach seinem gewaltsamen Tod direkt neben Heiligen-Bildern: Kitsch pur! Wenn man die Geschichte verfolgt und das Phänomen Escobar zu begreifen versucht, wird die ihm noch heute von einigen entgegen-gebrachte Verehrung teilweise verständlich. * Der Autor weist relativierend darauf hin, daß P.E. ein Mythos wurde und manche Geschichten, die sich um ihn ranken, nicht zweifelsfrei zu belegen sind. * Vor zwei Jahren sah ich ins Wilhelmsburg einen jungen Mann, der ein poppig bedrucktes Pablo Escobar-T-Shirt trug. * Heyne-Verlag, 416 S., 16 € *R.S.*

Samstag, 12. März 2011

12. März - Geburtstag Helga Goetze Sophia


Liebe Helga!
Vor 89 Jahren wurdest du geboren.
Du brachtest mit
Gedichten, Stickbildern, Zeichnungen, Tagebuchnotizen
LEBEN in unsere
emotionale und mentale Wüste,
in der Konsumismus und Geistlosigkeit
regieren - mit absoluter Mehrheit.
* Auf meine Weise
wandle ich
auf deinen Spuren
- mitunter wie ein Narr.
Danke für unzählige Anregungen!
*** Zeugnisse eines Aufbruchs, 230 S.; isbn 3-8334-2611-X
Rote Liebe - Rosa von Praunheim & Helga G. S. im Gespräch, 84 S.; isbn 978-3-8334-9928-9
www.helgagoetze.de de.wikipedia.org/wiki/Helga_Goetze + + +

Info-Laden Wilhelmsburg: Träume brauchen Räume


Liebe Infoladen-BetreiberInnen!
Ihr habt in eurem Schaufenster in der der Fährstraße einen schönen Spruch kleben. Den benutze ich frecherweise (?) für eine Collage, mit der auf meinen eigenen Verein hinweise, der seit 1989 in diesem Stadtteil und anderswo aktiv ist. Da ich/wir euch nicht per mail erreichen können, formuliere ich auf diesem Wege ein paar Fragen, die mir schon länger in der Seele glimmen.
Ihr protestiertet vor einiger Zeit mit einem Transparent, das wochenlang über eurem Laden hing (siehe mein Blog vom 30.12.2009), u.a. gegen "Ausgrenzung" und "Vertreibung". Mich nteressiert: Welche Erfahrungen machtet ihr bisher? + vor allem: Was macht ihr, wenn euch ein konkreter Fall bekannt wird? Gesetzt den Fall: Eine deutsche oder Migranten-Familie muß sich eine neue Wohnung suchen, weil die Miete zu hoch wird ... Setzt ihr euch mit denen in Verbindung - gewährt ihr vielleicht vorübergehende Unterkunft? Es gibt ja auch Obdachlose ...
Konkrete Hilfe im Alltag finde ich mindestens genau so wichtig wie das auf den Nicht-Eingeweihten radikal, aber abstrakt wirkende Anprangern von Mißständen.
Im letzten Jahr kamen 2 eurer Leute in den treffpunkt.elbinsel, eine Einrichtung zur Inte-gration von Behinderten. Sie wollten Unterschriften sammeln, da euer Laden gekündigt wurde. Ich setzte damals meinen Namen nicht auf die Liste, weil ich den ganzen Vorgang seltsam fand. Da zeigen Leute nie das geringste Interesse für diese Einrichtung - aber kaum haben sie ein Problem, wollen sie sie vor ihren Karren spannen.
Ich war schon ein paar mal in eurem Laden. Zum Essen. Es war nett, das Essen schmeckte. Einmal war ich auch da, um einen Offenen Brief an den IBA-Chef zu übermitteln. Beim nächsten Mal fragte ich nach, was mit meinem Schreiben passiert sei. Irgendwo wurde es in einem Gremium wohl angesprochen. UND? Weiter? Der nette junge Mann, mit dem ich sprach, wehrte die IBA mit dem Pauschal-Argument ab: "Die wollen nur INSTRUMENTALI-SIEREN".
::: Wenn es denn nur so einfach wäre ...
Wenn ihr Unterschriften sammelt gegen eine Kündigung, tut ihr damit nichts anderes als INSTRUMENTALISIEREN.
Ihr protestiert gegen "Vertreibung" und "Mieterhöhungen" in diesem Stadtteil. Ihr wißt sicherlich, daß es auf der Veddel und in Wi.burg Mietzuschüsse für Studenten gibt. Was machen die Studenten unter euch? Verzichten sie auf solche Zimmer und Wohnungen, in dem Bewußtsein, daß diese Mietzuschüsse als ein besonders griffiges/attraktives Mittel zur "Vertreibung" gehandhabt (instrumentalisiert) werden können?
Ich hatte euch ein paar mal eingeladen zu Abendessen u.a. Veranstaltungen meines Vereins, für den auch gilt: TRÄUME BRAUCHEN RÄUME. Nie kam jemand von euch, es gab keine Reaktion. Unsere Veranstaltungen stehen euch auch in Zukunft offen. Ihr bekommt aber keine spezielle Einladung mehr.
Was wollt ihr? Diesen Stadtteil ändern - am besten komplett umkrempeln?
Bevor ihr alles besser wißt: Schaut euch doch vorher erst einmal an, wer sonst noch hier lebt, arbeitet, träumt, initiativ ist.
Das vermisse ich bei euch. *R.S.*

Freitag, 11. März 2011

Simon Sebag Montefiore: "Der junge Stalin"


Das schwergewichtige Buch (544 Seiten) liest sich spannend wie ein Kriminal-Roman, fesselt mich aber noch weitaus mehr. Es geht hier um eine reale Person, einen Menschen, der tatsächlich lebte, und von dem ich bisher kaum etwas wusste. Deutlich wird: Schon als Kind und junger Mann war Stalin (Josef "Sosso" Dugaschwili) eine besondere Persönlichkeit mit Führungs-Ansprüchen. Er umgab sich mit Außenseitern, darunter auch Kriminelle. Körperliche Gewalt lernte er früh kennen, sie gehörte zu seinem Alltag. Seine harte Kindheit - er war häufig krank und litt unter körperlichen Gebrechen - und Jugend weckten früh seine Macht-Instinkte. Schon der 10-jährige strahlte Charisma aus. Mit 16 kam der weit überdurchschnittlich begabte "Sosso" - er schrieb Gedichte, malte und entwickelte erste schauspielerische Fähigkeiten - auf ein Priester-Seminar. Die brutale Erziehung bzw. Dressur dort bewirkte das Gegenteil dessen, was angestrebt wurde. Der Zögling wurde kein gottesgläubiger Diener der Menschen, sondern ein skrupelloser Berufs-Revolutionär, der in einer genialen Weise persönliche Kontakte, Freundschaften und gesellschaftliche Tendenzen zu seinen Gunsten zu nutzen wusste. * Das Buch beschreibt sehr detailliert Stalins Werdegang bis in die frühen 40-er Jahre. Es enthält zudem zahlreiche Fotos. Als Liebhaber von Biografien komme ich hier voll auf meine Kosten. S.Fischer-Verlag; isbn 978-3-10-050608-5 *R.S.*

Gregory Corso - Die Zweifel der Wahrheit (2)


Im Vorwort zum 1981 im Schweizer LICHTSPUREN-Verlag erschienenen Gedicht-Band schreibt Bernhard Streit: "Gregory Corso ist ein Dichter, der aufrührerisch gegen alles ist, was den Menschen durch den Menschen entmenschlicht. Er ist ... ein Visionär, der die Wirklichkeit lebt, statt sich von ihr fangen zu lassen."

DIE ZWEIFEL DER WAHRHEIT

In den schönen Künsten
Da gibt es kein Zuhause

Und meine stolze Brust
Liegt auf der Strasse
- Der Spiegel ist zerbrochen

Ich schaue hoch und sehe
Einen kämpfenden Dichter
- Was für eine sanft-traurige
Vernichtung ist doch ein Dichtermensch

Mein göttliches Herz sagt: "Nein
Blödsinn, es ist der Spiegel
der zerbrochen ist".

Darum ist die Wahrheit nicht mehr mein Meister
Ich will keine wahren Lügen

Ich verließ also meine Dichterbrust
für immer
Doch am nächsten Tag kehrte ich zurück
Und sah einen Chinesen schreiend
in der Sonne
Gregory Corso

Weiter heißt es im Vorwort: "Er versucht auch ständig andere Leute zu reizen; besonders Freunde - eine altbekannte Methode, um die Denkart anderer herauszubekommen. So lehrt er Menschen, sich selbst zu erkennen und sieht, wie weit Beziehungen gehen. Er selbst kommt damit dauernd in Schwierigkeiten."
- Das Büchlein/Heft enthält auch einige Zeichnungen des Dichters. -

Donnerstag, 10. März 2011

Pier Paolo Pasolini - Chaos


Von August 1968 bis Januar 1970 schrieb der italienische Schriftsteller wöchentliche Kolumnen für die Zeitung "Tempo". Die in dem Buch "Chaos" abgedruckten Artikel dieser Kolumnen-Serie zeichnen sich nicht durch Aktualität aus. Trotzdem lese ich sie hin und wieder. Sie bestehen aus einem Stoff, der heute selten ist. Pasolini stemmte sich mit aller Leidenschaft, Esprit, Dickköpfigkeit und Verzweiflung gegen die kulturelle Katastrophe, die sich nach seiner Einschätzung damals in Italien abzeichnete: Der Sieg des Konsumismus und Konformismus über jahrhundertealte Traditionen und kulturelle Erscheinungsformen. Die Anlässe, die der Autor herauspickte, waren Tagesmeldungen, persönliche Erfahrungen und sich abzeichnende gesellschaftliche Tendenzen, die er analysierte und polemisch überspitzt zur Sprache brachte. Pasolini wusste, was er tat. Er war sich darüber im Klaren, daß er sich Woche für Woche weit "aus dem Fenster lehnte" (um es mit einem in hiesigen Breiten geläufigen Bild zu sagen), eigentlich ZU weit - gemessen an dem, was eine immer mittelmäßiger werdende Öffentlichkeit als "normal" und akzeptabel goutierte. Der Moralist und Tabubrecher, Marxist (: viele Jahre Anhänger der KPI), kritisierte auch und vor allem den Konformismus einer sich revolutionär gebärdenden Linken. Pasolini war längst eine internationale Berühmtheit, hatte aber offenbar nichts zu verlieren. Diese Artikel, die zum Widerspruch herausfordern, sind vorbildlich in ihrem geistigen Extremismus und bedingunsglosen Eintreten für Meinungsfreiheit. * "Chaos" erschien 1988 im Piper-Verlag; 208 Seiten; isbn 3-492-10783-4. Ich hüte das Buch wie eine Perle. *R.S.*

IBA - Katalog zur Zwischenpräsentation 2010


Das 272 Seiten fette und im Format 30 x 16,1 cm gedruckte Buch erschien im Juni 2010. Ich er-fuhr erst vor wenigen Tagen davon. * Das Kunst Werk Wilhelmsburg (KWW) wird auf 2 Seiten (78-79) dargestellt. Es wird gelogen und schöngefärbt, daß sich die Balken biegen. Ich lese: "Ein "harter Kern" von 16 Mitgliedern entwickelt das Projekt auf inhaltlicher, organisatorischer und finanzieller Ebene, dazu kommt ein größerer Kreis von Interessierten. Es wird exemplarisch über neue Tätigkeitsformen im Zeitalter der Arbeitslosigkeit nachgedacht und der Arbeitsbegriff reflektiert..." Tatsache ist: Der "harte Kern" bestand nie aus mehr als 5 Leuten: H.Henatsch gründete ca. im März 2010 den Verein; A. Haarmann (IBA) schied bereits im Nov. 2009 aus; M. Placzek leitete bis April 2010 einen Mal-Kurs; Thomas Kutzner war maßgeblich an der Durchführung der Wanderausstellung beteiligt und arbeitete kontinuierlich an einer Website; ich selber gründete die Dienstag-Runde, an der regelmäßig 10-15 Leute teilnahmen - außerdem organisierte ich die Wanderausstellung. Zum Mal-Kurs ("Qualifi-zierungs-Maßnahme") kamen bis zu zehn 1€-Jobber, deren Bezahlung dafür um 25 Ct. angeho-ben wurde. Danach sah man sie bis auf einen, der seine "Kreativität" längst einstellte, nie wieder. Angeblich "plant das Projekt, Beschäftigungslosen und anderen bisher kunstfernen Interessierten eine kreative Beschäftigung zu ermöglichen". Realiter gingen diese Pläne über unverbindliches Schwafeln und blauäugiges Vertrauen in die große Gönnerin IBA nicht hinaus. Seit ca. einem Jahr treffen sich ein paar Unbeirrbare zum Reden, Kaffeetrinken und Wohl-fühlen. Ansonsten passiert NICHTS. Nothing, niente. Räume sind vorhanden, Pinsel, Papier, Farben. Aber keiner dieser angeblichen "Künstler" oder "Kreativen" macht Anstalten, den großen Plänen auch Taten folgen zu lassen. Letzte Woche gab es eine Mitgliederversammlung des KWW, an der vier (4) Leute teilnahmen. Darunter nicht ein einziger Künstler. Vom "harten Kern" ist nur H.Henatsch übrig geblieben. Kunst Werk Wilhelmsburg: Real-Satire von der Marke Provinzposse; echter Hardcore. Das verlorene Häuflein träumt immer noch davon, wie ich hörte, Gelder zu bekommen. Ehrlich gesagt: Ich traue der IBA sogar zu, daß sie Knete rausrückt. Immerhin sind zwei KWW'ler Mitglieder des "Bürgerbeteiligungs-Gremium der IBA" (Auflistung S. 266). Solche Unterstützer läßt die IBA nicht einfach fallen. Zumal der eine im letzten Jahr aus meinem Verein, dem Kunstbüro Wilhelmsburg, austrat. Der andere besitzt eine IBA-Anstecknadel, die er sich zu bestimmten Anlässen ans Revers heftet. * Interessant zu lesen: Auch Herr Loose, Geschäftsführer der Wilhelmsburger SAGA, ist Mitglied im Bürger-beteiligungs-Gremium. Der Mann verweigerte 2007 meinem Kunstbüro-Verein einen Vertrag über die Nutzung von Häuserwänden für die "Wilhelmsburger Busgalerie". Dieses Projekt wurde von der IBA finanziert. Loose versuchte seinerzeit alles, die "Busgalerie" im letzten Moment noch zu verhindern. U.a. zwang er uns, nur für das Anbringen von Schrauben extra einen Stromgenerator zu kaufen. Später ließ er eine von Vandalen abmontierte Installation (ca. 2 x 3 m) zwei Monate lang durch einen Hausmeister unter Verschluß halten - ohne uns zu informieren. Hier greifen Schamlosigkeit und kaltes Machtkalkül ineinander. Solche Männer kann die IBA gut gebrauchen. * Daß in diesem Katalog der "Förderkreis Wilhelmsburger Kunstbüro e.V." nicht erwähnt wird, obschon wir Koop-Partner waren und auch offizieller Träger der KWW-Wanderausstellung, scheint paradox. Irgendwo ist es aber auch konsequent. Immerhin werden wir nun zum dritten Mal ausgegrenzt. "Aller guten Dinge sind drei". Inzwischen bin ich sogar stolz darauf. Von so einem verlogenen Drecks-Apparat kann ich mich nur distanzieren. *Donald Duck*

Mittwoch, 9. März 2011

Der stotternde Königssohn

Nach längerer Zeit war ich gestern mal wieder im Kino. "The king's speech" wurde gezeigt, ein mit 4 Oscars preisgekrönter Film. Die Story des in den 1930/40-er Jahren angesiedelten Strei-fens: Ein Sohn des englischen Königs hat schwere Sprechprobleme: Er stottert heftig, muß aber bisweilen im Radio Reden halten. Er sucht, mit aufopfernder Unterstützung seiner Frau, einen Sprachtherapeuten auf. Der heilt ihn schließlich nach mehreren Versuchen, indem er ihn dazu bringt, seine emotionale Identität wiederzufinden. * Ich war schnell gelangweilt von "The king's speech". Daran änderte auch die professionelle Regie und Ausstattung mit originalgetreuen Autos, Kostümen usw. nichts. Ich erlebte grandiosen Kitsch, dessen Absichten mir schnell deutlich wurden - mit einem Höhepunkt gegen Ende der Inszenierung. Durch die Einblendung von Original-Hitler-Aufnahmen (::: der BÖSE professionelle Redner im Unterschied zum ach so MENSCHLICHEN und CHARAKTERVOLLEN Königssohn) bekam der Streifen einen mit dem Vorschlaghammer verpassten Fingerzeig. Sehr rührselig das Ganze - mehrfach vernahm ich Seufzer und erleichtertes Glicksen vor allem weiblicher Fans. Schließlich wird der gute Mann am Ende König, hält eine nicht perfekte, aber doch für seine Verhältnisse gut getimte Rede. Da freuen sich alle mit, vor allem die jungen Töchter des zu King George ernannten. *R.S.*

IBA - Wilhelmsburger Perspektiven


Fotografiert am Berta-Kröger-Platz. * Die großen Präsentationsräume der IBA waren bis vor kurzem mit den bestbekannten blau-weißen Streifen dekoriert. Davon übrig geblieben ist nur das Flickwerk auf einer beschädigten Glastür. * Man darf die Umgestaltung wohl als erste Signale der SPD sehen, die nun allein regiert und der IBA eine andere -weniger aufdringliche- Präsentation verpasst. Ob es sich hierbei nur um eine kosmetische Korrektur handelt oder um ein Zeichen für eine weitergehende Kurs-Korrektur, bleibt abzuwarten. *R.S.*

Dienstag, 8. März 2011

Autobiografie: Werner Schroeter


Ich lese gerade ein spannendes, phantastisch gut geschriebenes und mich tief berührendes Buch. Ich bin zwar erst auf Seite 250, aber selbst wenn die übrigen gut 150 Seiten schwächer ausfallen: Diese Autobiografie ist mir jeden Cent seines Kaufpreises (22,90 €) wert. * Ich kann mich nicht erinnern, einen Film des genialen Regisseurs ganz gesehen zu haben - eine Theater- oder Opern-Produktion erlebte ich mit Sicherheit nie. Jetzt werde ich allerdings richtig neugierig und zusehen, entsprechende DVD's zu erwerben. * Für Schroeter (1945-2010) spielten Freundschaften eine zentrale Rolle in seinem Leben, nicht nur in der "eigentlichen künstlerischen" Arbeit. Er ließ sich auf die Menschen ein, mit denen er zu tun hatte. Natürlich zog er sich auch bisweilen zurück, aber bei ihm wird klar, daß das Bonmot von der "Einheit von Kunst und Leben" keine Wunschvorstellung, sondern Wirklichkeit war. Die Memoiren sind sehr intim und zeugen nicht nur von der Sensibilität, sondern auch von der Kreativität und der professionellen Haltung des Mannes. Er genoß schon früh Ruhm und Ansehen, war zeitweise umstritten, passte sich aber nie dem Kulturbetrieb an. Ein non-konformer Außenseiter, der seinen Leitbildern und Ideen treu blieb. Er erfand neue Sichtweisen und schuf, bisweilen scheinbar dilettantisch, ästhetische Meisterwerke. Dabei bezog er ständig Frauen (seine liebsten Musen), aber auch Männer in seine Projekte und Leben ein. Und wahrte zudem noch die Fähigkeit zur Selbstkritik. Was kann ich mehr von einem Künstler erwarten/erhoffen? *R.S.*

Montag, 7. März 2011

Wilhelmsburger Folklore - Rosenmontag


Karnevalsfeier im WESTEND. Wilma hatte Damen und Herren eingeladen, die Senioren betreuen. Ich brachte ein paar FreundInnen mit. Unser Motto lautete: "Rosige Stunden für Nordlichter". Das lockere Programm machte allen Spaß. Es ist mir ein Vergnügen, mit höchst originellen Menschen aus dem Stadtteil zu feiern. Ein junger Mann gab auf seiner Trompete eine Kostprobe seines Könnens. Es sind die kleinen Überraschungen, die solchen "events" die richtige Würze geben. *R.S.*

Sonntag, 6. März 2011

Wilhelmsburg 1992: BILDWEGE


Der Stadtteil war schon mehrfach im Visier von Politikern, Stadtplanern usw., die MEHR aus diesem als "zurückgeblieben" eingestuften Teil Hamburgs machen wollten. 1991 gastierten hier zwei Fotografen mehrere Monate lang. Horst Hornig und Thomas Kummerow besuchten Menschen in ihren Wohnungen, an ihren Arbeits- und AusbildungsplätzeIIn, Schulen usw., um sie zu fotografieren. Diese wurden dann auf Plakatwänden, auf denen normalerweise für Zigaretten, Autos, Waschmittel usw. geworben wurde, in großformatigen s-w-Bildern gezeigt. Das waren weithin sichtbare Hinweise auf konkrete BewohnerInnen unterschiedlichen Alters und unterschiedlichster Herkunft. Ein Projekt mit Signal-Charakter. Mit H.Hornig hatte ich später noch einmal kurz Kontakt, dann brach die Kommunikation ab. * 1992 erschien im Zusammenhang mit den Plakatwänden das Foto- und Text-Buch "Bildwege", herausgegeben von der "Kulturbehörde, Abteilung Stadtteilkultur, in Zusammenarbeit mit der Honigfabrik und der HfBK". Damals installierten wir vom Kunstbüro Wilhelmsburg ein paar Holz-Skulpturen an der Außenwänden der HoFa - die heute noch dort hängen (siehe Foto-Collage). Ich wollte sie schon längst abmontieren, aber nun denke ich: Bis 2013 können sie ruhig dort bleiben (obschon ich von der Qualität nicht mehr begeistert bin). * "Bildwege" enthält neben zahlreichen Fotos auch einige Texte, darunter einen von mir. Ich zitiere mich selber (1992): "In der letzten Zeit bin ich einige Male gefragt worden: "ist Wilhelmsburg scheint ja wohl im Trend zu liegen?" Mit anderen Worten: Ist dieser Stadtteil vielleicht dabei, "in" zu werden, "chic"? Gewinnt er in der Beliebtheits- und Wichtigkeits-Hierarchie Hamburger Stadtteile vielleicht einen oder zwei Plätze? Steigt er von einem der letzten Plätze vielleicht etwas höher, Richtung Mittelfeld? Kulturell scheint doch einiges zu passieren, gerade auf dem Gebiet der Musik, es gibt das sogenannte Insel-Rock-Festival... Aus New York hört man oder sieht man im Fern-sehen, daß Künstler in heruntergekommene Viertel ziehen, dort Ateliers und Galerien eröffnen, und nach und nach ziehen sogenannte "gehobene" Restaurants, Dienstleistungsge-werbe u.ä. nach. Die Gegend wird "in", die Mieten gehen rauf, Spekulanten können sich gegenseitig wie Dagobert Duck auf die Schultern klopfen und in Geld baden. Man muß nicht nach N.Y. schauen, um zu wissen, was Trendsetting heißt und bedeutet. Hier in Hamburg bieten Ottensen und die Gegend um die neue Flora Negativ-Beispiele dafür, wie Stadtviertel oder Teile davon herausgeputzt werden, ... aber die ansässige Bevölkerung hat letztlich davon nichts." - Soweit Ausschnitte aus dem Original-Text eines Wi.burger Künstlers von 1992. * Damals wurde die Elb-Insel auch schon als ein "Problem"-Gebiet gesehen, das Wörtchen vom "sozialen Brenn-punkt" machte die Runde; der Begriff "Gentrifizierung" war noch unbekannt. Im Unterschied zu heute gab es noch eine gewisse Besonnenheit und Klugheit seitens der offiziellen Politik, gerade auch der Kulturbehörde. Was damals - aus Sicht der Stadt-Oberen - offenbar NICHT gelang, versucht heute die IBA mit der Brechstange. * Obwohl die IBA inzwischen einen Hauch Gegen-wind bekommt - sie wird den eingeschlagenen Weg des unsensiblen Hauruck! zugunsten eines möglichst schnell sichtbaren Erfolgs bis 2013 "unbeirrt" fortsetzen. Dieses Städteplanungs-Format, das sich selber zum Standard erklärt, ist offenbar unbeirrbar. Und es wird ihr leicht gemacht. Das bißchen Opposition hier kooperiert kaum miteinander, nimmt bestenfalls Notiz voneinander (teilweise nicht einmal das ...). Ansonsten ist sich jeder in der grassierenden Goldgräberstimmung der nächste. * Das Buch (isbn 3-926174-44-7; 148 S.) ist längst vergriffen, dürfte aber von Interessierten in der Wilhelmsburger Geschichtswerkstatt (Honigfabrik, Margret Markert) eingesehen werden können. *Raimund Samson*

Samstag, 5. März 2011

good times - music from the 60


Die aktuelle Ausgabe der ZS liegt mir nicht vor, aber dafür die Hefte aus den letzten 2 Jahren. G.T. ist ein Retro-Heft, es geht um die Gründungs-Dekaden des Beat und Rock. da ich in den 60-ern ein heißer Fan der Kinks, Small Faces, Yardbirds, Hollies, Pretty Things etc. war, später noch Captain Beefheart, finde ich hier viele Infos, die mich in meine Jugendjahre zurückführen. Ein Magazin von Fans für Fans. MIt viel Liebe und Nostalgie gemacht. Jedes Heft enthält seitenlange News/Aktuelles - einige der Bands sind noch heute aktiv, was ich bisweilen peinlich finde ("Oldie-Nights"...). Ich schau mir jedes mal die Seite an, auf der die Verstorbenen mit einer Mini-Biografie gewürdigt werden. * Die # 6/2010 (das Heft erscheint alle 2 Monate) zeigt Eric Clapton auf dem Cover - davor waren es die Beatles und die R.Stones. Und dann seitenlange Berichte. Solche Artikel interessieren mich nicht - von den Beatles etc. weiß ich eh alles, was mir wichtig ist. * Eine Seite ist der englischen Gruppe "Marmelade" gewidmet. Sehr nett, gefällig. Aber weshalb wird ausgerechnet "I see the rain", das Jimi Hendrix 1968 zu seinem Lieblings-Song des Jahres kürte, nicht erwähnt? Für mich der einzige Marmelade-Song von überragender Qualität. * Mikael Rickfors stieß 1971 zu den Hollies. Leider war sie da bereits von einer geilen, musikalisch innovativen Beat-Band zu einer Schnulzen-Combo mutiert. * Spannend finde ich zu lesen, was Mani Neumeier von Guru Guru, eine zeitweilig an Hippie-Werten orientierte deutsche Gruppe, heute macht. Der Mann hat sich offenbar weiterentwickelt. * 2 Seiten nur über seltene Ausgaben von R.Stones-LP's. Tja DAMALS waren die Stones auch meine Band. Kreativ finde ich sie schon lange nicht mehr. * 34 (!) Seiten CD-Reviews: In dieser Rubrik finde ich bisweilen Perlen, längst vergessene Bands, und Solo-Interpreten, Raritäten, Besonderheiten. * 2 Seiten "books for you". In dieser G.T.-Ausgabe finde ich kein Buch, das mich besonders interessiert - in älteren Heften fand ich aber Hinweise auf die exzellente Arthur Lee-Biografie und ein Buch über Scott Walker (siehe ältere blogs). * "Hit oder Shit?" - ein Bericht über Billig-(= Abzocke) Alben - was für eine Frage! Zum Musik-Business gehörten immer auch Label, bei denen die Musik selber Nebensache war. * Fazit: Einige Berichte berühren mich, andere überhaupt nicht ... Mich interessieren vor allem in Vergessenheit geratene gute Bands, die nie den großen Durchbruch schafften (Klasse der Artikel in einer älteren Ausgabe über Skip Bifferty!). *R.S.*

IBA - Ein bißchen Klatsch darf sein


-HASSU gehört?
:: WAS? ... Du meinst ...?
-Ja genau, die hatten ein Treffen in ihrer Zentrale, Am Zollhafen
:: Du warst dabei?
-Nicht direkt, aber ichs von Klaus gehört
:: Sach bloß, die hatten DEN eingeladen
-Das nich, aber Klaus seine Schwester, die Inge
:: Ach, DIE war dabei?
-Selber nicht, aber sie hat die Information
:: Von dem Treffen im Zollhafen bei der IBA
-GENAU. Weil sie da ein kleines Problem haben. Sie kommen hier in Wilhelmsburg nicht so an die Leute ran, wie sie sich das vorgestellt haben
:: Und zu diesem Treffen kamen ganz viele ...
-Ganz bestimmte Leute halt. MULTIPLIKATOREN halt.
:: Multi...?
-plikatoren. Von mehreren Vereinen, Presse, und so.
:: Du Gerda, jetzt werd ich aber neugierig. Diese Zentrale, die muß ich mir auch mal anschaun.
- Meinst Du?
:: Am besten gehn wir alle hin. Wenn die mal wieder so ein Treffen haben.
-Da komm ich aber nicht mit. Nee, auf keinen Fall. Das ist mir zu hoch da...
(Zeichnungen aus der Collage: Norman Rockwell) *R.S.*

Freitag, 4. März 2011

Gregory Corso - Die Zweifel der Wahrheit


Als letzten Post für heute ein Gedicht von Gregory Corso (1930-2001); aus dem 1981 erschie-nenen "DIE ZWEIFEL DER WAHRHEIT"

ICH TRÄUME AM TAGE

Ich träume am Tage
viel zu düster
um an meiner zerfetzten Tür
die Engel zu begrüßen

Sie werfen Salz herein
sie verschütten meine Milch
sie streuen weisse Fliegen auf den Boden

Ich krieche über den Ausguss
ich verqualme meinen Herd

Sie verlassen mich blutrot
ich lasse meinen Handschuh fallen

Neue Kultur-Senatorin


Ich sehe es positiv - auch wenn ich skeptisch bin. Hamburg hat eine neue, charmante Kultur-Senatorin. Da sie aus Berlin kommt, wird sie eine gute Zeit brauchen, um sich in dieser Stadt und deren Kulturbetrieb erst einmal zurechtzufinden. Die beste Kultur-Senatorin in den letzten Dekaden war Helga Schuchardt. Über die Tätigkeit ihrer NachfolgerInnen möchte ich lieber den Mantel des Schweigens legen. Nett waren sie alle - NA UND! Ein Hamburger Boulevard-Blatt schreibt: "Sie will das kulturelle Profil Hamburgs schärfen", (welcher Kulturpolitiker wollte das nicht! - der Blogger), "fordert von Künstlern mehr Selbstbewusstsein". - Ojä - ich mache seit etlichen Jahren die Erfahrung, daß selbstbewusstes Auftreten gerade NICHT akzeptiert wird (siehe IBA ...). * Wir sollten keine falschen Erwartungen hegen - und der Frau Zeit geben. * Ob sie, bei der Fülle von Großbaustellen in der Hamburger Kulturlandschaft noch die Puste und Geduld haben wird, sich mit einzelnen Künstlern, kleinen Vereinen und unscheinbaren Projekten zu befassen, werden wir sehen. * Zunächst einmal: HERZLICH WILLKOMMEN! *R.S.*