Donnerstag, 9. Dezember 2010

Bücher - Gentrifidingsbums


Gentri -äh- da war doch was? Richtig: "Gentrifizierung", DER (neue-neuere) Begriff, um Stadtplanung von Oben zu benennen. Als Insulaner zähle ich zu den Betroffenen - die I.. ist derzeit mit das größte Gentrifizierungs-Projekt in Hamburg. Christoph Twickel, Autor des Buchs, ist einer der Initiatoren von "Not in our Name, Marke Hamburg" und einer der "Recht auf Stadt"-Protagonisten. Ich las in der Zeitung davon, ohne neugierig zu werden ... Diese linken Spinner, dachte ich, ham se wieder mal'n neuen Trend? Im Gängeviertel zum Beispiel ... Was geht MICH das an, ich hab hier meine eigene scene, ODER! * Twickel ist Fachmann, kennt sich aus. Der Typ ist ein Teil der Bewegung. Sein Buch ist sympathisch und nennt mit einer bisweilen schnoddrigen, meist coolen Sprache, die Dinge beim Namen - neue Namen, neue soziologische Begriffe (nicht nur "Gentrifi..."). Das Buch bietet Anregungen, in eine andere Richtung zu denken, das Leben um mich herum anders wahrzunehmen. Um meinen Stadtteil geht's zwar nur auf anderthalb Seiten (64,65), aber der Autor vermittelt Hintergrundwissen, das ich anderswo kaum so komprimiert anfüttern kann. Twickel beschreibt eine Entwicklung, dir vor gut 20 Jahren einsetzte, teilweise auch schon früher. Es geht um Kunst und die Instrumentalisierung von Kunst; "Kreativität" das große Zauberwort. Gentrifizieren heißt, Stadtteile aufzumotzen, aufzuwerten, zu pimpen, interessant zu machen für Spekulanten. Bei diesem Prozeß können Künstler, "Kreativschaffende" eine wichtige Rolle spielen. * Twickel ist engagiert, der linken Szene im weiteren Sinn zuzurechnen, aber etwas lockerer als gewisse Dogmatiker und Chef-Ideologen. Der Mann blickt durch. Letztlich dreht sich alles um Image-Verbesserung. Da lassen Stadtplaner auch mal verquere, kritische Kreative ran - wenn sie zu frech und einflußreich werden, läßt man sie halt wieder fallen - bzw.: Wenn die Mieten zu sehr steigen, müssen diese Leute ihre Zelte eh wieder woanders aufschlagen. Man sollte, so zum Spielball geworden, jedoch nicht Amok laufen, sondern eher MIT-spielen, sich nicht verbarrikadieren, sondern durchlässig sein für ANDERE Positionen. * Neben der Entwicklung im Gängeviertel beschreibt Twickel ausführlicher auch die (zeitweilige) Inbesitznahme des "frappant" in Altona. Auch die Hafencity wird thematisiert, da wirds für mich schon fast "heimatlich" - rein topografisch gesehen versteht sich. Semantisch betrachtet bedeutet Hafencity die Vertreibung der letzten Wilhelmsburger Trachten-Vereine durch die Ansiedlung von Mars-Männchen. Mit anderen Worten: Unsere Heimat wird entfremdet! Wir weinen deshalb aber nicht stundenlang.. * Der Autor erwähnt Guy Debord - da war doch mal was - richtig! Debord war einer der, vielleicht DER führende Theoretiker der Situationisten in den 60-ern. Die Anti-Gentrifizierungs-Bewegung ist mehr situationistisch gefärbt als orthodox links. Die Situationisten, radikale Querköpfe und Kreative, wollten seinerzeit die Gesellschaft nicht bilderstürmerisch umkrempeln, Flagge hissend, sondern unterwandern, unterkellern, aushöhlen. De-zentral. Subversiv. Dieses Buch zeigt mir: Es gibt sie offenbar auch heute noch - oder wieder. Situationisten sind, im Unterschied zu manchen linken Betonklötzen, auch spielerisch orientiert. * "Gentrifidingsbums" bietet keine Rezepte, keine Gebrauchsanweisungen. Ich finde nicht mal Adressen, Website-Angaben, an die ich mich wenden könnte. Typisch Situationisten! Sie sind mehr Künstler als Politiker oder Zeugen Jehovas. **** Ich sag mir: Es kommt auf die richtige Lebensweise an - und die muß jeder für sich entdecken, entwickeln. **** Also schmökere ich weiter. C.T. bringt manches auf den Punkt, nicht unbedingt humorig, aber auch nicht moralisierend. thänx for information, autor! **** In Wilhelmsburg entwickeln wir uns und dem Stadtteil angemessene Alternativen zur offiziellen Image-Politik. Wir wollen Spaß haben und Qualität entwickeln. Wer uns zu Image-Zwecken braucht, soll dafür zahlen. Geld ist wichtig, steht aber nicht im Mittelpunkt. Und wenn doch, ist alles übrige tot. Und wenn wir kein Geld bekommen, machen wir ohne weiter. **** Edition Nautilus 128 S., isbn 978-3-89401-726-2

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