Samstag, 30. Oktober 2010

Ausstellungskataloge - Arrabal


"Arrabal - der Lyriker und Künstler" ist der Titel eines Buchs mit Gedichten, Interviews, Porträts Arrabals (aus der Sicht anderer Künstler), farbigen Wiedergaben von Zeichnungen, Gemälden, Kooperationen mit anderen Künstlern, sowie einem Foto, das ihn 1995 mit Ernst Jünger und Jean Miotte zeigt. In der Einführung heißt es "Wenn die Annahme richtig ist, daß künstlerische Kraft und Kreativität aus den Tiefen persönlicher Verletzung kommen ... so ist Fernando Arrabal ein Lehrbuchbeispiel dafür. In all seinen Werken, den Dramen, den Drehbüchern, den Romanen und komprimiert in seiner Lyrik, geistern die Traumata seiner Jugend." Arrabal geht in seinem Werk immer an Grenzen, an seine und die ihm von der Gesellschaft aufgezwungenen, er war inhaftiert wegen Beleidigung der Religion und des Vaterlandes. Er publizierte nicht nur einen langen Brief an Franco, sondern legte sich auch mit Castro an. Ein Interviewer: "Irgendwo hast du einmal gesagt, Schreiben sei Verrat." Darauf Arrabal: "Es ist Frustration. Schreiben ist eine kompensatorische, masturbatorische, sich in der Nacht vollziehende Tätigkeit, die einen davon abhält, wahnsinnig zu werden." Und er sagt: "Ich wage es, dem Löwen auf den Schwanz zu treten, wohl wissend, daß das für mich an eine Art Selbstmord grenzt." A. präsentiert sich in der Ausstellung, die u.a. in der Hamburger Staatsbibliothek gezeigt wurde, als Poet, der seinen Künstlerfreunden Denkmäler setzt. Von einigen seiner bildnerischen Werke gibt es Mini-Auflagen, einige sind Unikate. isbn 3-928090-07-0 60 S., ca. 23 x 23 cm 15 € R.S.

Freitag, 29. Oktober 2010

Bücher - Eine Ohrfeige dem öffentlichen Geschmack


"Eine Ohrfeige dem öffentlichen Geschmack - Russische Futuristen" ist sehr fein gemachtes Buch, das 2001 in der edition nautilus erschien. Was einem bisher als nebulöse Vorstellung vorschwebte: Da war doch was mit revolutionären Künstlern? ... kann man hier im Wortlaut nachlesen. Was für eine Gegenwelt zu unseren zahlreichen kleinen Genies und mittelmäßigen Provokateuren, die die große Pose lieben und über Schaumschlägerei doch nicht hinauskommen. Chlebnikow, Majakowskij, Kruconych, Burljuk, Elena Guro, Olga Rozanova u.a. gehören zu den heraus-ragenden russischen Künstlern und DichterInnen, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts, also noch vor der Oktober-Revolution, mit Lesungen, Ausstellungen, Experimenten und Manifesten, in denen sie ihre radikalen Ideen kompromißlos formulierten, in die Öffentlichkeit gingen. Sie erzeugten, gemeinsam mit den Arbeitern, Intellektuellen, Teilen der Bauernschaft wie des Bürgertums jene Situation, die zum Umsturz führte. Damals konnten sie nicht ahnen, daß der Massenmörder Stalin, in der pervertierten Nachfolge Lenins, einen bürokratischen Macht- und Terror-Apparat aufbauen würde, in dem Kunst und Poesie gemaßregelt und sie selber vom Staat nur als nützliche Werkzeuge der Propaganda bzw. Idioten angesehen werden würden. Es gibt in der Geschichte kaum vergleichbare Ansätze, die auf höchstem Niveau die bestehende Kunst und Literatur in Frage gestellt und zugleich die Entwicklung neuer Formen vorangetrieben haben. Was etwa zeitgleich im Dadaismus, später in der "Konkreten Poesie" und anderen experimentellen Tendenzen entstand, ist partiell bereits bei den russischen Futuristen zu finden. Der große Unterschied zu unserer Zeit: Es gab weder Computer noch andere Medien, mit deren Hilfe Verfremdungs-Effekte und abweichende Formen in Schriftbild und Sprache so spielerisch leicht hergestellt werden können, wie es heute üblich ist. "Eine Ohrfeige dem Öffentlichen Geschmack" enthält 16 Porträts und vor allem Manifeste, außerdem ein Quellenverzeichnis, ist reich bebildert und stellt somit ein hervorragendes Nachschlagewerk für alle dar, die sich mit der Kunst-Entwicklung der damaligen Zeit genauer befassen wollen. 100 S., isbn 3-89401-383-4 R.S.

Bücher - Kunst und Kultur in der Hafencity

Da war doch was - richtig! 2005 wurde mit großem Aufwand dafür geworben, an der künstlerischen Gestaltung des Hafencity-Geländes mitzuwirken. Aus 164 Projekten wurden seinerzeit 8 ausgewählt. Da mein Vorschlag: Installation von Gemälde-Drucken, die sich kritisch mit den palastähnlichen Bauten befassten, keinen Zuschlag bekam, entschied ich mich für die Mitwirkung an einem der geförderten Projekte, nämlich die Hafencity Universitas". Ich nahm an etlichen -so ziemlich allen- Veranstaltungen dieser ernstgemeinten Uni-Parodie teil, hielt sogar selber einen Vortrag: "Subversive künstlerische Tendenzen in der Massengesellschaft" (Russische Futuristen, Wiener Aktionismus, "Suversive Aktion"-Dieter Kunzelman, u.a.). Es gab auch ansonsten ein paar interessante Beiträge bzw. Projekte in der Hafencity. Ich erklomm den "Baltic Tower", spazierte über den "Steinernen Orient-Teppich", erwarb beim "Kunst-Imbiß" einen Pappteller, machte um die Lesebühne des "Hamburger Ziegel" einen Bogen, schaute mir Bild-Projektionen auf den Kaispeicher A an (wo heute die Elb-Philharmonie entsteht), rauchte hier eine Zigarette, trank dort ein Bier und übte mich in small-talk. * Ich war erstaunt, vor einiger Zeit das Buch "Kunst und Kultur in der Hafencity" in einem Schaufesnter zu sehen, und kaufte es. Noch mehr staunte ich, als ich darin ein Foto entdeckte, auf dem ich abgebildet war. Am meisten überraschte mich jedoch, daß mein Name nirgendwo erwähnt wird. Der "Chef" der HC-Universitas, Sebastian Niemann, hatte offenbar selbstherrlich entschieden, welche Bilder ausgewählt und welche KünstlerInnen mit Namen genannt wurden. In einem seriösen Unternehmen fragt man vor der Veröffentlichung eines Fotos, ob der/die Abgebildeten damit einverstanden sind. Ich fände es auch selbstverständlich, als Beteiligter ein Beleg-Exemplar zu erhalten. Bei Herrn Niemann gelten offenbar andere Regeln. * Ich blättere weiter in dem Buch: Höchst professionelle Aufmachung, jede Menge Abbildungen. Über die Vorworte kann ich nur sagen: Die übliche Schönrednerei. Was ist auch anderes zu erwarten von den Geschäftsführern bzw. Vorsitzenden der Hafencity GmbH und der Hamburgischen Kulturstiftung? Die interessieren sich aus Image- und Karriere-Gründen für Kunst und scheuen keine Gelder, um KünstlerInnen vor ihren Karren zu spannen, mit denen dann ssie elber und die Stadt Hamburg reüssieren können. * Ich vermute, daß für die beteiligten Künstler ein Frei-Exemplar des Buches heraussprang. Ansonsten: Ich hatte keinen Einblick in das Budget der "Hafencity Universitas" des Herrn Niemann, der 2005 meine Kontaktperson war. Es braucht nicht viel Phantasie, um sich auszumalen, weshalb Herr N. sich nicht in die Karten blicken ließ. * Erwähnen möchte ich noch einen "literarischen" Text aus dem Buch mit dem Titel "Der Verbrecher als Künstler". Den Namen des Autors verschweige ich - vielleicht gibt es von ihm auch überzeugende Texte. Mein Vorschlag für eine Neuauflage: Erstens besagtes Foto herausnehmen, zweitens den erwähnten Text umbenennen. Wie wäre es mit "Bauherren als Verbrecher"? Die Kosten für die Elb-Philharmonie explodierten von gut 70 auf über 350 Millionen Euro, mit schwerwiegenden Folgen nicht nur für das Schauspielhaus und das Altonaer Museum, mehr als 4000 Baumängel wurden bisher festgestellt - allein dies reicht zehnmal aus, um die Frage zu stellen, ob hier nicht auch kriminelle Machenschaften eine Rolle spielen. "Der Verbrecher als Künstler" - was für ein fader Literatur-Witz! * - Zurück zur "Hafencity Universitas" und Herrn Niemann. Er ist unter seiner alten Adresse nicht zu erreichen. Auch die Hrsg. des Buches konnten mir diesbezüglich nicht weiterhelfen. Aber vielleicht bringt mich dieser Blog einen Schritt weiter bei meiner recherche a Sebastian Niemann. Raimund Samson

Donnerstag, 28. Oktober 2010

Bücher - Hadayatullah Hübsch


Der Gedichtband "Tickets" erschien im Horlemann-Verlag. Hadayatullah Hübsch verfügt über immense Ressourcen, was Erlebnisse betrifft, und so greift er in die unsichtbare Kiste und wird stets fündig. Die "Tickets" lassen mich mitreisen auf Ausflügen voll Ironie, Humor und Anspielungen, manchmal listig, nie bösartig, auf Abstechern in die Welt der Literatur, des schnöden Alltags, raus aus dem Hier&Jetzt - und zugleich stets darin. Bei so viel Phantasie, zudem mit einem Fundus an Rock-Songs und Schlagern versehen, scheinen dem Autor Einfälle zuzufliegen wie Blätter im Herbstwald. Sehr farbig. Mit Leichtigkeit gezeichnet. Nie erlebte ich den Autor so humorig. Die Bürde des Rufs als "Underground"-Legende mit Kult-Status scheint ihm nichts anzuhaben - keine Spur davon, daß er abhebt oder sich in Eitelkeit sonnt. So reist er ohne Drogen, aber beseelt + inspiriert durch meine/deine Gedanken. Hier lebt einer in der realen und zugleich in virtuellen Welten, ohne auf Internet und modischen Schnickschnack angewiesen zu sein. Sehr unterhaltsam. isbn 978 389 5021 473, 10 €, ohne Erscheinungsjahr www.horleman-verlag.de *
Das Gemälde (nach einem Foto) entstand im letzten Jahr, als der Autor in meiner Werkstatt Texte las. R.S.

Mittwoch, 27. Oktober 2010

Bücher - Die Wiener Gruppe


1997 erschien das Buch erstmals, konnte auf der Biennale in Venedig käuflich erworben werden. Irgendwann kam der Schinken auch auf den Buchmarkt. Ich erwarb die kompakte Anthologie bzw. den Kunst-Katalog schließlich bei 2001, zu stark herabgesetztem Preis. "Die Wiener Gruppe - the visual works and the actions - a moment of modernity 1954-1960" wiegt wenigstens fünf Pfund -hier stehen Quantität und Qualität in ausgeglichenem Verhältnis! Der Band enthält neben Texten und Collagen auch zahlreiche Fotos von Friedrich Achleitner, H.C.Artmann, Konrad Bayer, Gerhard Rühm und Oswald Wiener sowie Personen aus dem Umfeld. Und eine CD mit Ausschnitten aus Lesungen, Interviews, frühen Filmen usw. Die österreichische Gruppe war in den 50-er Jahren mit Lesungen und literarischem Cabarett mit stark aktionistischen Elementen in die Öffentlichkeit gegangen. Ich war Fan seit 1969, als ich erstmals von der Gruppe hörte und Texte von ihr las - da existierte sie schon längst nicht mehr. H.C.Artmann bezweifelte, daß es überhaupt eine "Gruppe" gewesen sei. Die "Gruppe" sei eine Erfindung der Medien. Man habe sich nur in Kaffeehäusern getroffen und gegenseitig Texte vorgelesen. Das Kompendium enthält Werke, die größtenteils experimentellen Charakter haben, sprachkritisch sind und dabei durchaus unterhaltsam. - Egal ob echte Gruppe oder nur Ansätze dazu: Die 787 Seiten (ca. A4-Format) enthalten reichlich Material und laden ein zum Schmökern, Staunen, Lesen. * SpringerVerlag Wien/New York isbn 3-211-83021-9 R.S.

Bücher - Arrabal, Riten und Feste der Konfusion




Fernando Arrabal (* 1932) ist ein spanischer Dichter, Regisseur, Maler und Dramatiker, der in den 50-er Jahren vor allem durch seine Dramen ("absurdes Theater") bekannt wurde. 1955 verließ er nach Konflikten mit der Zensur sein Heimatland und siedelte nach Paris über. Sein Werk, zu dem u.a. sieben Spielfilme, hunderte von Gedichtbänden und etliche Romane gehören, wurde bisher nur teilweise ins Deutsche übersetzt. *
Eines meiner absoluten Lieblingsbücher ist seit den 70-er Jahren Arrabals "Riten und Feste der Konfusion". Es beschreibt in 36 Kapiteln, die ebenso vielen Labyrinthen entsprechen, eine neunmonatige Reise des Ich-Erzählers durch den Körper einer Riesin. Diese Reise ist geheimnisvoll und rätselhaft, bezaubernd und löst Irritation im Leser aus. Es wirft "Streiflichter seines barock ausschweifenden Seelen- und Traumlebens, die von symbolträchtigen, nach seinen Anweisungen gemalten Selbstbildnissen untermalt werden" (Klappentext". Das Buch ist so schwer fassbar (kategorisierbar) wie poetisch, die Erzählungen rühren an den inersten Kern des Menschseins. "Als Zeremonienmeister und Opfer seiner Phantasie schafft Arrabal einen neuen Surrealismus, der nicht in sinleere Wortartistik flüchtet, sondern Rituale unserer tieferen Existenz nachzeichnet" (Klappentext). Ich hüte das Buch wie einen Schatz und neige in Verehrung mein Haupt vor dem Meister. - Melzer-Verlag 1969 (antiquarisch erhältlich). - Die beigefügte Collage ist die Wiedergabe des Titelblatts, dem ich die Zeichnung eines Labyrinths hinzufügte. Das andere Bild ist eine Originalwiedergabe aus dem Buch. R.S.

Dienstag, 26. Oktober 2010

Biografien - Helmut Berger


Ich lehnte den Schauspieler früher grundwegs ab und ignorierte ihn, soweit dies möglich war: Als "Narziß", total eingebildet und abgehoben, Jet-Setter, als Darsteller nur anerkannt wegen seiner Schönheit ... Mein borniertes Links-Sein erlaubte mir nicht, über meinen moralin-gesäuerten Schatten zu springen. Heute lese ich das Buch mit Vergnügen und Bewunderung, bereits zum zweiten Mal. Berger geht noch einen Schritt weiter in seiner Selbst-Entblößung als Elfriede Jelinek in "Sturm und Zwang", er zelebriert sich geradezu dabei, ohne Tabus und rücksichtslos mit sich selber ins "Reine" zu kommen. Soweit dies überhaupt möglich ist. Natürlich spielt hier auch Eitelkeit eine Rolle - wie bei jedem Künstler, Schauspieler, Politiker, ev. Pastor, Bischof usw. Berger lebt sich aus, DARUM geht es. Das Buch-Motto "Die große Sehnsucht meines Lebens: ich will geliebt werden" klingt kitschig. Andererseits: Wenn es um Gefühle geht, geraten Äußerungen fast automatisch in die Kitsch-Zone. Ich bin auch deswegen von dem Buch fasziniert, weil ich hier Insider-Infomationen erhalte über eine Welt, die mir völlig verschlossen ist, den Jet-Set. Berger ist bzw. war mit unzähligen Größen der Upper-Class und obersten Schauspiel-Liga intim und befreundet, ob Elizabeth Taylor, Ursula Andress, Bianca Jagger, Rudolf Nurejew ... "Ich", so der Titel der Autobiografie, ist eine tolle Fundgrube für Voyeure und Sensationsgier. Ich werde hier, Seite für Seite, gut angefüttert. Und was sich hat der Typ nicht alles an Drogen und Stimulanzien reingezogen: Hasch, LSD, Ecstasy, Opium, Cocain, hektoliterweise Alkohol ... Obschon der Autor manches Klischee bedient, ragen seine Erinnerungen weit aus den Niederungen der yellow press heraus, durch Exzentrik und Ehrlichkeit - auch wenn man nicht unbedingt jedes Wort auf die Goldwaage legen sollte. Es geht um äußere Schönheit und viel Glitzerkram, viele Seiten um nichts anderes - der Autor (der gemeinsam mit Holde Heuer die Autobiografie verfasste) veranstaltet aber nicht den bekannten "Tanz ums Goldene Kalb". Berger tanzt zwar - aber aus der Reihe. Er weiß, daß am Ende anderes zählt. Liebe. Durch alle Exzesse, Eskapaden, eiserne Disziplin als Schauspieler hindurch zur Empfindung, geliebt zu werden? * Ich sah vor einigen Monaten den Mann im Fernsehen bei Gottschalk. Er schien nicht seinen besten Tag zu haben. * Ullstein-Verlag, isbn 3-548-35970-1 R.S.

Montag, 25. Oktober 2010

Lektüren - Elfriede Jelinek

"Sturm und Zwang" von Elfriede Jelinek, Jutta Heinrich und Adolf-Ernst Meyer hat den Untertitel "Schreiben als Geschlechterkampf". Der Hamburger Psychoanalytiker interviewt die beiden Schriftstellerinnen. Hier wird Klartext geredet und nicht literarisiert und ästhetisiert. Es geht nicht darum, das Werk etwa der Jelinek in die Hochliteratur zu topografieren -daß es dort angesiedelt ist, scheint eh klar- und ihre Position da oben zu zementieren, sondern um Hintergrundinformationen. Hier wird nicht an den Mythen gestrickt, die sich um das Werk von Künstlerinnen ranken, sondern, im Gegenteil: In schonungsloser Offenheit gibt die Jelinek privateste Details ihrer Biografie preis, etwa über das Verhältnis zu ihrer Mutter, offenbart psychische Zwänge und Zustände, die in der Regel erst nach dem Tod festgestellt und offen-gelegt werden. Ich finde diese Vorgehensweise mutig und bewundernswert. Hier untergräbt ein Mensch sich selbst - die eigene Position in der Öffentlichkeit, die sich leicht blenden ließe. Die Schriftstellerin verfügt über so viel Kraft und Format, daß sie das Risiko eingehen kann, sich als auch verstört und verletzbar zu zeigen. Auch Jutta Heinrich spricht sehr privat, ja intim über sich und das Schreiben. Vehement richtet sie sich gegen das Schubladendenken, welches ihr und das Werk anderer Frauen gerne als "Frauenliteratur" etikettiert. In Bücherhallen ist dafür meist ein abgegrenzter Bereich reserviert. Genau diese Abgrenzung aber gälte es zu durchbrechen. * Ingrid Klein Verlag GmbH isbn 3-89523-025-0 (vergriffen?!)

Mezzotinto im Harburger Hafen


Harry Springer und Andreas Göhring, mehr als 20 jahre lang Herausgeber und Weggefährten von mezzotinto, gestalteten nach acht Jahren Pause eine neue Ausgabe (# 29) der Zeitschrift und luden zur Präsentation in die Kaffeerösterei Fehling im Harburger Hafen. Die Veranstaltung war gut besucht. Die einzelnen Teile des abendfüllenden Programms präsentierten sich auf einer breit gefächerten Palette, sowohl literarisch als auch musikalisch, von ironisch-hintergründig bis extrem emotional, mit beiträgen von teilweise exzellenten, höchst erfahrenen Performance-Künstlern.
"Ich heiße nicht Springer", brachte ich mich in den Abend ein, "aber ich bin ein Springer." Schließlich wohne ich in Wilhelmsburg, jenem Hamburger Stadtteil, dessen BewohnerInnen seit seit Jahren von der IBA unter dem Motto "Sprung über die Elbe" aus der Reserve gelockt werden. "Komm rüber" lautet eine weitere Parole. So war ich eben mal von Wi.burg rübergekommen, nein rübergesprungen. Ich las aus meinem Buch "Das Paradies auf der Bratpfanne", einem Roman über die linksradikale Szene und die Otto Mühl-Kommune der 70-er Jahre. Ich bekam guten Applaus. Dies gleicht ein wenig andere Erfahrungen aus, die ich mit dem Buch in der linken Szene machte. Dort werden bis heute nicht nur Mühl seine Aktionen und vor allem die Gründung der Kommune verübelt. Selbst mir, einem zeitweiligen Epigonen und kaum mehr als ein Außenseiter im Kommune-Betrieb, wird heute noch Haß entgegengebracht - nur weil ich ein Buch über meine Erlebnisse veröffentlichte.
Man darf gespannt sein, wie Göhring und Springer weitermachen. Die Aufmachung von mezzotinto: Layout und Format, hat einen Quantensprung gemacht, hin zu einer Professiona-lität, die früher nicht zu erahnen war. Die Zeiten ändern sich - und offenbar auch die Ansprüche der Künstler. Ca. 1990 stellte Harry seine ZS in der Buchhandlung Lüdemann vor, in einer Veranstaltung des Kunstbüro. Vor gut zwei Handvoll Interessierten. Nun also dieses großformatige event. Schaun mer mal, was noch so kommen wird ... R.S.

Samstag, 23. Oktober 2010

Bücher - Phil Hubbe


Phil Hubbe ist Zeichner und Texter des Buchs "Der Stuhl des Manitou", eine Parodie bzw. Alliteration auf den Film "Der Schuh des Manitou", der wiederum eine Parodie auf Karl May- und ähnliche Filme ist. Es geht um das Schicksal von Rollstuhlfahrern und anderen Behinderten. Der an MS erkrankte Künstler sitzt selbst im Rollstuhl und nimmt äußerst witzig und pointiert -mit einem kräftigen Schuß Galgenhumor- seine und die Situation von Leidensgenossen aufs Korn. Auf political NON correcte Weise. Der band enthält mit die besten Cartoons, die ich in den letzten Jahren sah. Der Zeichner beherrscht sein Handwerk und der Texter weiß lakonisch und treffend zu kommentieren. Das Buch ist bestens zum Verschenken geeignet - an Menschen mit und ohne Behinderung. LAPPAN-Verlag isbn 978-3-8303-3097-4 R.S.

Dienstag, 19. Oktober 2010

Hamburger Kulturpolitik - Friedrich Schirmer


Der "Spiegel" interviewte Friedrich Schirmer zu seinem Rücktritt als Intendant des Hamburger Schauspielhauses. Die ZS wirft ihm vor, das Theater und seine Mitarbeiter im Stich gelassen zu haben. So einfach ist es nicht. Der demonstrative Rückzug macht über die Grenzen dieser Stadt hinweg deutlich, was für eine desaströse Kultur-Politik hier betrieben wird. Nicht Schirmer war eine "markante Fehlentscheidung der Hamburger Kulturpolitik", wie der Maler Daniel Richter behauptet, sondern die Politiker sind inkompetent. In den Hoch-Etagen der Sozio-Kultur sind Karrieredenken und Eitelkeit die wichtigsten Eigenschaften. Die, die das Sagen haben und über Millionen-Etats verfügen, haben längst jeden Kontakt zur Basis verloren. Offenbar brauchen sie ihn auch garnicht - in HH wird (Kultur)Politik über die Köpfe der Leute hinweg gemacht. Frau Welck, Ex-Kultursenatorin, meinte es gut, zumindest war sie nett - und trat zurück, weil die Kosten für die Elb-Philharmonie in einer so irren Weise stiegen, daß davon nicht nur das Schauspielhaus und das Altonaer Theater betroffen sind, sondern auch andere Bereiche, über die niemand ein Wort verliert. - Ich ziehe den Hut vor Herrn Schirmer. Er nimmt erhebliche finanzielle Einbußen in Kauf, und mit seiner Theater-Karriere ist es wohl auch vorbei. Der Mann zeigt, daß es noch andere Werte als kommerziellen Erfolg und Anerkennung um jeden Preis gibt. Schirmer zeigt Charakter - so etwas zählt heute nicht. Vielleicht trägt sein Rücktritt zu einem Umdenken bei. Unzufrieden sind fast alle. Sichtbare Zeichen zu setzen aber trauen sich die wenigsten. R.S.

Sonntag, 17. Oktober 2010

Lektüren - Arthur Lee und The book of LOVE


John Einarson veröffentlichte vor Kurzem im Londoner Jawbonepress-Verlag "FOREVER CHANGES", eine Biografie über den amerikanischen Musiker Arthur Lee und seine legendäre Westcoast-Band LOVE. Das Buch, 334 Seiten stark, ist akribisch recherchiert und das Werk eines Fans. Der schielt nicht nach literarischen Lorbeeren, es geht ihm allein um Lee, seine Musik und die scene, die er mitschuf. Ich liebe solche Bücher. Da zahlreiche Weggefährten zu Wort kommen und zudem immer wieder aus den Memoiren Lees zitiert wird, hat diese Biografie einen hohen Grad an Authentizität. Arthur Lee (1945-2006) war eine sehr widersprüchliche Persönlichkeit, der die Schule abrach und schon früh mit Freunden und Kumpels in Los Angeles eigene Bands gründete. Ende 1965 rief er LOVE ins Leben, eine aus 5-7 Musikern bestehende Gruppe. Mein Bezug zu LOVE ist der Song "7 & 7 is", der 1966 erschien und mich umhaute. Der Sound war unglaublich kräftig, aggressiv, irgendwie auch melodisch und -durch den Gesang- total schräg und widerspenstig. Etwas in dieser Art hatte ich noch nie gehört. "7 & 7 is ... was a small-scale cultural phenomenon and a musical milestone", schreibt Einarson, "boasted a pounding bass figure sliding between notes, crashing guitar chords, and a thunderous, non-stop drum torrent supporting..." Er kulminiert in einer Atombomben-Explosion, nach der der Song weich und harmonisch ausplät-schert. "7 & 7 is" war ein Vorläufer des Punk, Garage at it's best, und äußerst originell. Jetzt weiß ich endlich, wie der Titel zustande kam: Lee war, wie eine Freundin von ihm, am 7. März geboren - die Zahlen spielen auf ihre Beziehung an. Mitte der 60-er Jahre war LOVE , neben den Byrds, die "angesagteste" Band in SW-Kalifornien und Arthur Lee ein Superstar, nicht leicht zu nehmen. Er lebte seine Allüren, von denen er eine Menge hatte, voll aus. Ab 1967 liefen ihm Jim Morrison und die Doors den Rang ab. LOVE und Arthur Lee wären wahrscheinlich noch viel größer herausge-kommen, wenn A.L. nicht eine ausgesprochene Abneigung gegen ausgedehnte Tourneen gehabt hätte. In Los Angeles und Umgebung war LOVE die Live-Band schlechthin und für unzählige Fans jedes Mal ein Erlebnis. Die ersten Langspielplatten -"Forever changes" erschien 1967 als dritte LP und galt vielen als Meisterwerk- erschienen mit kaum wechselnder Besetzung, danach spielte Lee noch mehrere LP's mit wechselnden Musikern ein und veröffentlichte Solo-Platten. Mitte der 60-er Jahre war Lee schwer auf LSD, Marihuana wurde wie selbstverständlich nebenher konsumiert - später kam der Musiker und Komponist nur schwer vom Cocain los. Auch dies war vielleicht eine Ursache dafür, daß ihm der ganz große Durchbruch nicht gelang. Das Zeug dazu hatte er allemal. Ich halte John Einarson für einen sehr kompetenten Autor, sein Buch ist großartig. ISBN 978-1-906002-31-2, 16 € 02 (engl. Import)

Samstag, 16. Oktober 2010

Kunst im Öffentlichen Raum

Im WilhelmsburgerInselRundblick (W.I.R.) erschien im September unter der Überschrift "Multikulti, ja bitte - aber nicht an meinem Tisch...?" ein Bericht, in dem es um den Rausschmiß einer Gruppe junger Türken ging. Sie waren während der Veranstaltung "Aussicht auf Veränderung" auf dem Parkdeck des EZ Wilhelmsburg zu den Feiernden gestoßen. Das Kunst-Projekt wird kuratiert von Ute Vorkoeper und Andrea Knobloch, BetreiberInnen der "Akademie einer anderen Stadt". Der Autor des Artikels, Mariano Albrecht, war selber anwesend. Weder er noch Klaus Lübke (SPD) bemerkten irgendwelche Randale, die von den jungen Mänern ausging. Dem Wachmann, der für die Hinausbeförderung zuständig war, tat die Sache leid - er handelte auf Anweisung.
In der neuen Ausgabe des W.I.R. ist eine Gegendarstellung von Frau Vorkoeper und Frau Knobloch abgedruckt. Darin verwahren sie sich rigoros gegen jede Kritik und bringen eine "männliche" bzw. "weibliche Wahrnehmung" ins Spiel. Auch von Herrn Lübke ist eine Stellungnahme abgedruckt, außerdem von M.A. eine "Stellungnahme zur Gegendarstellung". Alle Statements sind sachbezogen, enthalten aber einige Spitzen und sind nicht frei von Polemik - kein Wunder! Bei einem Kunst-Event dabeizusein oder rausgeschmissen zu werden, berührt bei Jedem einen sensiblen Punkt. Ganz zu schweigen von der Tatsache, daß hier das Thema Integration von Migranten tangiert wird. Man sollte Menschen beim Wort nehmen. Und so frage auch ich mich, Herrn Lübke in seiner Argumentation folgend, welcher Ort mit dem grandiosen Titel "Akademie einer anderen Stadt" wohl gemeint ist Wilhelmsburg? Tatsächlich? ...
Ich lebe hier seit 24 Jahren und bin seit 1989 mit meinem Verein als Veranstalter von Lesungen, Ausstellungen, als Literat, Maler, Puppenspieler aktiv. 2009 erlebte ich eine große Ausstellung, die Frau V. und Frau K. organisiert wurde. Etliche KünstlerInnen unterschiedlicher Provenienz waren eingeladen. Die Präsentation lief unter dem Motto "Zeichen von Respekt". Ich war beeindruckt. Und schickte den beiden Damen eine mail mit der Anfrage zu einem Gespräch zwecks Austauschs und ggfs. Kooperation, in welcher Weise auch immer. Keine Antwort. Im Frühjahr wurde ich von der IBA zu einer Veranstaltung im Harburger Kunstverein eingeladen, bei der es um Kunst im Öffentlichen Raum ging. Dieses Thema interessiert mich brennend. Ich fragte die IBA, ob auch Redebeiträge aus dem Publikum möglich seien - und wurde an die "Akademie einer anderen Stadt" verwiesen. Wieder bekam ich keine Antwort. So unternahm ich an jenem Abend etwas anderes. Als bloßes Dekor, Platzfüller herzuhalten für endlose Redebeiträge - dazu ist meine Zeit zu knapp. Mich interessiert ein lebendiger, offener Dialog, und nicht jene Sorte Veranstaltungen, deren Verlauf vorprogrammiert ist, und wo Kritik, sei sie noch so berechtigt, als Querulantentum abgetan wird.
Die These von der "männlichen" bzw. "weiblichen Wahrnehmung" ist bestens geeignet, jede Kontroverse abzuwürgen. Genau darum geht es hier. Wer nicht offen diskutieren möchte oder kann, entzieht sich auf diese Weise der Gefahr, bei einem Fehler oder einer Schwäche ertappt zu werden. Das, was im soziokulturellen Bereich in Wilhelmsburg passiert, soll anders werden - deshalb der Hinweis auf die andere Stadt. Hinter dem Argument der geschlechtsspezifischen Wahrnehmung stecken Berührungsängste. So etwas ist menschlich und verdient Feingefühl. Nur: Es geht hier nicht um private Belange, sondern öffentliche Projekte. Ich frage mich, ob Kuratorinnen, die Gäste rausschmeißen lassen und nicht bereit sind, auf Anfragen zu antworten und Impulse von in diesem Stadtteil lebenden Künstlern aufzunehmen, geeignet sind, diesen zu verändern. Ich sehe in solchem Verhalten Anzeichen von mangelndem Respekt.
Der Rauswurf war ein Fehler - so etwas kann passieren. Jeder Mensch macht Fehler. Die nun in Gang gekommene Kontroverse zeigt aber, daß gewisse Leute offenbar nicht in der Lage sind, Fehler einzugestehen. Eine schlichte Entschuldigung für die falsche bzw. Über-Reaktion hätte gereicht, und niemand wäre auf Dauer gekränkt. Stattdessen wird die Sache verlagert auf eine mysteriöse "männliche" und "weibliche Wahrnehmung".
- Und wenn die Betroffenen nicht bereit sind, sich ein X für ein U vormachen zu lassen? - R.S.

Freitag, 15. Oktober 2010

Büroarbeit


Der Schreibtisch ist nicht mein Lieblingsort. Die Akten stapeln sich, und ich MUSS jetzt ...
Dbei bin ich der erste Vorsitzende des Kunstbüro Wilhelmsburg. ...
R.S.

Lektüren - Michel Foucault

"Der Mensch ist ein Erfahrungstier" von Michel Foucault ist die Wiedergabe eines Gesprächs, das der Philosoph Ende 1978 mit Ducio Trombadori führte. "Ich bin ein Experimentator und kein Theoretiker", sagt Foucault. "Ich bin ein Experimentator in dem Sinne, daß ich schreibe, um mich selbst zu verändern und nicht mehr dasselbe zu denken wie zuvor." Für ihn war "Die Idee einer Grenzerfahrung, die das Subjekt von sich selbst losreißt" das Wichtige bei seiner Lektüre von Nietzsche, Bataille u.a. Seine Bücher seien "stets als unmittelbare Erfahrungen zu verstehen, die darauf abzielen, mich daran zu hindern, derselbe zu sein." Es geht um Veränderungen der Denk- und Wahrnehmungsweisen - nicht durch Konsum, sondern eigenes Tun, in diesem Fall: Schreiben. Dabei kann herauskommen, was andere als "Theorie"begreifen, aber für den Autor geht es um seine eigene Entwicklung. Unter dem Einfluß Nietzsches, Batailles und Blanchots gelang dem Philosophen, sich von dem Einfluß Hegels und der Phänomenologie zu lösen. * Das erste Buch Foucaults, das ich las, war "Überwachen und Strafen". Es geht darin um die Entwicklung der Institution "Gefängnis" ab der Wende des 18. zum 19. Jahrhunderts. Der Autor stellt darin auch Bezüge bzw. Querverbindungen zu den Institutionen Armee und Schule her. Das knapp 400 Seiten umfassende Werk ist sehr spannend und pointiert geschrieben, geradezu unterhaltsam. Ich muß nicht philosophisch geschult sein, um es zu verstehen. Es ist ein wissenschaftliches Werk, aber dabei in seiner Sprache auch dem wenig vorgebildeten Leser zugänglich. * "Ästhetik der Existenz", Untertitel "Schriften zur Lebenskunst", enthält 23 Essays und Interviews, die zwischen 1963 und 1984 erstmals erschienen. Besonders berührten mich "Freundschaft als Lebensform" und das "Gespräch mit Werner Schröter", dem kürzlich verstorbenen deutschen Film-Regisseur. * Es gibt andere Bücher von Foucault (u.a. "Die Ordnung der Dinge"), die ich anfange zu lesen, ohne sie insgesamt zu begreifen. Ich nehme mir fest vor, alles in mich aufzunehmen, aber irgendwann verliere ich den Faden und ertappe mich dabei, wieder ein paar Seiten "gelesen" zu haben, wie mechanisch, und dabei nicht zu verstehen, worum es geht. Ich "registriere" einzelne Sätze, bin aber nur halb konzentriert bei der Sache. Es handelt sich hier um rein wissenschaftliche Dinge und logisches Denken. Mir fehlen die nötige Ruhe und Disziplin, um bei diesen Büchern zu fruchtbaren Lektüre-Ergebnissen zu gelangen. R.S.

Montag, 11. Oktober 2010

Nur geträumt? - Besuch in der "Neuen Schule e.V."

In HH-Rahlstedt gibt es seit 3 Jahren eine Schule, die von Popstar Nena gegründet wurde. Ich bewarb mich dort, weil ich als arbeitsloser Pädagoge und freier Künstler eine bezahlte Tätigkeit suche - fes-angestellt, als Honorarkraft oder wie auch immer. Eine Mitarbeiterin schickte mir eine supernette mail. 2 Wochen später rief mich ein Junge an, um mich zu einer Sitzung des "EK" (Einstellungs-Komitee) einzuladen. Ich machte mich auf den Weg, im Gepäck ein paar Theater-Figuren und Postkarten von Ausstellungen. Die Schule ist in einer alten Villa im Schimmelreiterweg untergebracht, das Haus von hohen Bäumen umstanden - eine feine Residenz, an die "Villa Kunterbunt" von Pipi Langstrumpf erinnernd. Das "Einstellungskomitee" bestand aus 7 bis 8 Kindern; außerdem nahmen 4 Erwachsene teil. Eine junge Frau blätterte in einem prall gefüllten Ordner mit Bewerbungen. Ich meinerseits packte Theater-Figuren und Ausstellungskarten aus und erzählte. Ich erwartete irgendwelche Fragen von den Kids - nichts. Ich erzählte weiter und hoffte erneut auf Fragen oder andere Reaktionen auf meine Puppen, Postkarten, Erzählungen. Wieder Fehlanzeige. Das überraschte mich. In meiner aktiven Zeit als Puppenspieler erlebte ich Dutzende von Schulen und Kindergärten. Auf Sprachlosigkeit stieß ich nie, dafür auf viel Begeisterung und bisweilen auch Skepsis bei älteren Schülern - verständlich bei einem Puppenspieler: "Das ist doch was für Babies" hieß es manchmal. Zu trinken gab es abgestandenes Leitungswasser. Naja, dachte ich, sie wollen offenbar sparen. Denn noch hat die "Neue Schule e.V." den Status einer Privat-Schule, noch gibt es keine öffentlichen Gelder. Netterweise machten zwei Mädchen mit mir einen Rundgang. Unterrichtsräume im üblichen Sinn gibt es nicht. Ich sah weder Schulhefte noch andere der in ähnlichen Einrichtungen üblichen Utensilien. Die Atmosphäre war nett und freundlich, aber auch spürbar reserviert. Den Kindern ging es offenbar gut - kein Wunder, wenn jede/ machen kann, was er will, kommen kann, wann er will. In einem Probenraum übte eine Band. Die Musik gefiel mir. Nach dem Rundgang führte ich ein Gespräch mit einem Lehrer. Er erzählte mir, daß nach der offiziellen Anerkennung die Gründung mehrerer Filialen in Hamburg geplant sei. Der Mann schwärmte von einem Prof Dr. der Neurologie, einem VIP, der sich offenbar mächtig dafür einsetzt, daß die Schule einen offiziellen Status erhält. Nur zu, dachte ich, wär doch prima! Einen Lern-Betrieb mal ganz anders aufziehen als normal üblich. Als Jugendlicher hatte ich in einem total verkopften Schulbetrieb wie ein Roboter Unterrichtsstoff pauken müssen und am Ende teilweise die Übersicht verloren. Es gibt nicht nur kognitives Wissen, sondern auch soziale und emotionale Intelligenz. Dafür, daß diese sich entfalten kann muß nur halt ein entsprechender Rahmen geschaffen werden. Statt harter Autorität spielerische Elemente in den Mittelpunkt stellen ... Als Fachmann für Rollenspiel -ich hatte einst meine Diplom-Arbeit zu dem Thema geschrieben- ging mir eine Fülle von Möglichkeiten durch den Kopf. I- ch sagte zu, ein loses Konzept zu schreiben - die Gegenseite versprach, "dialogisch" auf die Anregungen und Ideen einzugehen. Sie würden zwar nichts bezahlen, aber ich war bereit, auch kostenlos ein drei- oder vierwöchiges Praktikum zu absolvieren. Bei einem interessanten Projekt verzichte ich ausnahmsweise auf Bezahlung. - So schickte ich also ein paar Vorschäge und, zur weiteren Veranschaulichung, FotosDateien an die Schule, um in den anvisierten Dialog zu treten. Und warte bis heute auf eine Antwort. Ist es zu viel verlangt, eine kurze mail zu schicken? Ich erwarte keinen Brief-Roman ... Die Ursache für das Ausbleiben einer Antwort kann ich mir mit einer Hand ausrechnen. Die "Neue Schule e.V." wird mit Bewerbungen offenbar derart zugeschüttet, daß sie es nicht nötig hat, die einzelnen Probanden ernst zu nehmen. Sie haben genügend Auswahl, um je nach Lust und Laune Leute einzuladen. Die Kinder sind mit der Situation völlig überfordert. Ich kann ihnen nicht böse sein. In dieser Schule wird "demokratisch" darüber entschieden, mit vollem Stimmrecht der Kiddies, wer als Lehrer, Praktikant etc. eingestellt wird. Wie kann so etwas funktionieren? Die Kinder und Jugendlichen verfügen weder über die notwendigen Sach- noch Menschenkenntnisse, um solche Entschei-dungen fällen zu können. Am Anfang ist das "EK" eine lebendige Angelegenheit, spannend und neu, aber irgendwann wird sie zur Routine. "Hey, wir haben heute doch EK? Schau ich mir mal an. Besser als Grashalme zählen!" Bewerbungsgespräche als kostenloses Unterhaltungsprogramm? Es ist wie mit zu viel Spielzeug. Irgendwann verlieren die tollsten Angebote ihren Reiz. Der Fehler liegt nicht bei den SchülerInnen, sondern bei den Lehrern und sonstigen Verantwortlichen. Offenbar muß man ein VIP (very important person) sein, um ernst genommen zu werden. Die Verantwort-lichen der "Neuen Schule" schätzen Bewerber nach dem PR-Status ein, mit denen das Image der Einrichtung aufpoliert werden kann. In der Pop- und Glitzerwelt ist so etwas üblich - bei einer Schule finde ich so eine Haltung sehr befremdlich. Den Verantwortlichen dieses Schul-Experimentes sei ins Poesie-Album notiert: "Fördern heißt fordern. Grenzenloser Liberalismus führt zu grenzenloser Langeweile und hat nichts mit der gesellschaftlichen Realität zu tun, in die die SchülerInnen irgendwann entlassen werden: Täglicher Konkurrenzkampf, gnadenlose Auslese und Ausgrenzung derer, die nicht wettbewerbsfähig sind. Dem, der reichlich Geld hat, mag das egal sein. Was machen die anderen? Irgendwann sind die komfortablen Wohlfühltage vorbei." - Nena hatte Anfang der 80-er Jahre einen Klasse-Hit: "Nur geträumt". Träumen ist lebens-notwenig. Wenn es um eine Schule geht, zählen aber auch noch andere Dinge. Oder sollte ich meinen Bericht mit den Worten schließen "Na, dann träumt mal schön weiter"? Raimund Samson, LIP (little important person), Diplom-Pädagoge, Freier Künstler

Freitag, 8. Oktober 2010

pimp your rollstuhl



Seit Mitte Juli "pimpen" wir Rollstühle, d.h. wir bauen Rollstühle zu Spaß-Mobilen bzw. Kunst-werken um. Die Arbeiten fanden bisher größtenteils im "treffpunkt.elbinsel", Fährstr. 51 A, statt, einer Einrichtung zur Integration Behinderter. Wir sind der Ansicht, daß Behinderung ein schweres Handicap, ja katastrophal für den/die Betroffenen ist - aber mit Mut, Phantasie, Kreativität und positivem Denken angegangen werden sollte. Bisher wirkten in der einen oder anderen Weise mit: Isa Bozic, Ingeborg, Mariano Albrecht, Matthias Meckel, Ina Gajewski, Janes Kozuomi Tashiro, Reni, Edda Frühling, Bernd, Steffi, Raimund Samson, Gotthold Eichkorn, Inga Sawade, Josie, Jens, d.h. KünstlerInnen, Neugierige, Interessierte aus Hamburg und Kiel. Wir planen, einen Jahreskalender herauszugeben, auf dem bisher entstandene Arbeiten gezeigt werden. Am 13.11. (Samstag) geht es wieder von 10-18 Uhr im treff-punkt.elbinsel rund ums Thema Behinderung und Rollstuhl. Wer beim Kalender oder in anderer Weise mitmachen möchte, ist herzlich eingeladen. "pimp your rollstuhl" ist ein Projekt des Kunstbüro Wilhelmsburg. Wir führen es gemeinsam mit den Verantwortlichen des treffpunkt durch. Wir suchen noch preisgünstig oder als Spende gebrauchte Rollstühle und freuen uns über jede Art Unterstützung. Raimund Samson, Projekt-Leiter

Dienstag, 5. Oktober 2010

ausstellung im stadtmuseum


Die Vernissage des Kunstbüro im Stadtmuseum war eine vergnügliche Veranstaltung. Ca. 20 Gäste, also eine überschaubare Runde, hatte eine Menge Spaß. Über die von uns ausgestellten Bilder und Skulpturen hinaus gibt es noch viel anderes Interessantes zu sehen. Da unser Hof-Fotograf seine Kamera vergaß, fertigte ich eine Zeichnung des Geschehens an. Keine Garantie für naturgetreue Wiedergabe! Raimund Samson